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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Freund aussah wie ein Leibwächter. Allan nahm Ruths Arm und schob sie eilig vorwärts; es war nicht mehr weit bis zum Parkplatz. Hannah drehte sich wiederholt zu der älteren Frau um, die der kleinen Hochzeitsgesellschaft folgte, aber diese Frau gehörte nicht zu den Leuten, die sich durch Blicke einschüchtern lassen.
    »Das ist keine Journalistin«, sagte Hannah.
    »Scheiß auf sie, das ist nur irgendeine alte Schachtel«, sagte ihr Freund.
    »Ich kümmere mich darum«, sagte Eddie. Aber diese ältere Frau war gegen Eddies Charme immun.
    »Ich rede nicht mit Ihnen. Ich will mit ihr reden«, erklärte sie Eddie. Dabei deutete sie auf Ruth.
    »Hören Sie, gute Frau, heute ist ihre Hochzeit. Machen Sie verdammt noch mal die Flatter«, sagte Hannah.
    Allan und Ruth blieben stehen und drehten sich zu der alten Dame um, die ganz außer Atem war. »Das ist nicht meine Exfrau«, flüsterte Allan, und auch Ruth wußte das so sicher, wie sie wußte, daß es nicht ihre Mutter war.
    »Ich wollte nur Ihr Gesicht sehen«, sagte die Frau zu Ruth. Auf ihre Art sah sie ebenso nichtssagend aus wie Rooies Mörder. Sie war eine dieser älteren Frauen, die sich irgendwann gehenlassen. Kaum hatte Ruth das gedacht, wußte sie plötzlich, wer diese Frau war, noch bevor diese weitersprach. Wer außer einer »Witwe für den Rest ihres Lebens« würde sich so gehenlassen?
    »Also, jetzt haben Sie mein Gesicht gesehen«, sagte Ruth. »Und was nun?«
    »Ich möchte Ihr Gesicht wiedersehen, wenn Sie Witwe sind«, sagte die erzürnte Witwe. »Ich kann es kaum erwarten.«
    »He«, sagte Hannah zu der Frau, »bis sie Witwe ist, sind Sie längst unter der Erde. Sie sehen aus, als wären Sie schon auf dem Weg dahin.«
    Hannah nahm Ruths Arm aus Allans Hand und zog sie in Richtung Auto. »Komm schon, Baby, es ist dein Hochzeitstag!«
    Allan warf der alten Frau einen kurzen, bohrenden Blick zu; dann folgte er Ruth und Hannah. Hannahs Freund sah zwar aus wie ein Rausschmeißer, aber in Wirklichkeit war er ein Schlappschwanz. Er scharrte nur mit den Füßen und sah Eddie an.
    Und Eddie, der noch nie einer älteren Frau begegnet war, die sich nicht von ihm bezaubern ließ, überlegte, daß er noch einen Versuch mit der erzürnten Witwe unternehmen wollte, die Ruth nachstarrte, als wollte sie sich diesen Augenblick für immer einprägen.
    »Finden Sie nicht auch, daß Hochzeiten heilig sind oder es zumindest sein sollten?« begann Eddie. »Gehört die Hochzeit nicht zu den Tagen, an die wir uns unser ganzes Leben lang erinnern sollten?«
    »Aber ja, und ob ich das finde!« versicherte ihm die alte Witwe. »Sie wird sich bestimmt an diesen Tag erinnern. Wenn ihr Mann tot ist, wird sie sich öfter daran erinnern, als ihr lieb ist. Es vergeht keine Stunde, in der ich nicht an meinen Hochzeitstag denke!«
    »Verstehe«, sagte Eddie. »Kann ich Sie zu Ihrem Wagen bringen?«
    »Nein, danke, junger Mann«, sagte die Witwe.
    Eddie, der vor soviel Selbstgerechtigkeit nur kapitulieren konnte, wandte sich ab und eilte hinter der Hochzeitsgesellschaft her. Alle hatten es eilig, vielleicht wegen des unwirtlichen Novemberwetters.
    Am Spätnachmittag fand eine kleine Dinnerparty statt. Alle Buchhändler aus dem Ort waren eingeladen, außerdem Kevin Merton (der sich um Ruths Haus kümmerte) und seine Frau. Allan und Ruth hatten keine Hochzeitsreise geplant. Was ihre sonstigen Pläne betraf, wollten sie sich voraussichtlich mehr in dem Haus in Sagaponack aufhalten als in Vermont, wie Ruth Hannah erklärt hatte. Irgendwann würden sie sich zwischen Long Island und New England entscheiden müssen, und sobald sie ein Kind hätten, sei klar, wie die Entscheidung ausfallen würde, hatte Ruth gemeint. (Sie wollte auf alle Fälle, daß ihr Kind in Vermont zur Schule ging.)
    »Und wann wirst du wissen, ob ihr ein Kind bekommt?« hatte Hannah gefragt.
    »Wenn ich schwanger werde oder eben nicht«, hatte Ruth geantwortet.
    »Aber versucht ihr es denn?« wollte Hannah wissen.
    »Wir fangen nach Silvester damit an.«
    »So bald schon!« sagte Hannah. »Ihr verschwendet wirklich keine Zeit.«
    »Ich bin sechsunddreißig, Hannah. Ich habe schon genug Zeit verschwendet.«
    Das Fax fiepte den ganzen Tag, und Ruth verließ ihre Gäste immer wieder, um sich die eingegangenen Nachrichten anzusehen. (Hauptsächlich Glückwünsche von ihren ausländischen Verlegern.) Ein reizendes Fax kam von Maarten und Sylvia aus Amsterdam. ( WIM WIRD UNTRÖSTLICH SEIN! hatte Sylvia geschrieben.)
    Ruth

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