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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hatte Maarten gebeten, sie über weitere Entwicklungen im Fall der ermordeten Prostituierten auf dem laufenden zu halten. Maarten hatte ihr mitgeteilt, es gebe keine neuen Informationen über den Mord. Die Polizei hülle sich in Schweigen.
    »Hatte sie Kinder?« hatte sich Ruth bei Maarten vor einiger Zeit in einem Fax erkundigt. »Ich würde gern wissen, ob diese arme Prostituierte Kinder hatte.« Aber auch über die Tochter der Prostituierten hatte die Presse nichts verlauten lassen.
    Ruth war in ein Flugzeug gestiegen, sie hatte einen Ozean überquert, und was in Amsterdam geschehen war, hatte sie weit hinter sich gelassen. Nur wenn sie in der Dunkelheit wach lag, spürte sie das Kleid, das auf einem Kleiderbügel in Rooies Schrank gehangen hatte, oder roch das Leder des rückenfreien Oberteils.
    »Du wirst es mir doch sagen, wenn du schwanger bist, oder?« erkundigte sich Hannah, als sie mit Ruth abspülte. »Du wirst doch daraus nicht auch ein Geheimnis machen, oder?«
    »Ich habe keine Geheimnisse, Hannah«, log Ruth.
    »Du bist das größte Geheimnis, das ich kenne«, erklärte Hannah. »Um zu erfahren, was mit dir los ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als es genauso zu machen wie alle anderen: Ich muß eben abwarten und dein nächstes Buch lesen.«
    »Aber ich schreibe doch nicht über mich, Hannah«, rief Ruth ihr ins Gedächtnis.
    »Das behauptest du!«
    »Natürlich sage ich es dir, wenn ich schwanger bin«, versprach Ruth, um das Thema zu beenden. »Du sollst die erste sein, die es erfährt, nach Allan.«
    Als Ruth an diesem Abend mit Allan ins Bett ging, war sie innerlich etwas unruhig; und sie war erschöpft.
    »Alles in Ordnung?« fragte Allan.
    »Alles in Ordnung.«
    »Du wirkst müde.«
    »Ich bin auch müde.«
    »Irgendwie kommst du mir verändert vor«, meinte Allan.
    »Na ja, ich bin mit dir verheiratet, Allan«, antwortete Ruth. »Das ist doch eine Veränderung, findest du nicht?«
    Noch vor Ende der ersten Januarwoche 1991 war Ruth schwanger, und auch das bedeutete eine Veränderung.
    »Jungejunge, das ging aber schnell!« meinte Hannah. »Sag Allan, er kann stolz auf sich sein. Nicht jeder Kerl in seinem Alter verschießt noch scharfe Munition.«
    Graham Cole Albright, 3500 Gramm schwer, kam am 3. Oktober 1991 in Rutland, Vermont, zur Welt. Seine Geburt fiel auf den ersten Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. Obwohl Hannah äußerst ungern Auto fuhr, brachte sie Ruth in die Klinik. Sie war die ganze letzte Schwangerschaftswoche bei ihr gewesen, weil Allan in New York arbeitete und nur an den Wochenenden nach Vermont kam.
    Es war zwei Uhr nachts, als Hannah und Ruth sich auf den Weg ins Krankenhaus in Rutland machten; die Fahrt dauerte etwa eine dreiviertel Stunde. Hannah hatte Allan verständigt, bevor sie losfuhren. Das Baby kam erst nach zehn Uhr vormittags zur Welt, so daß Allan noch leicht rechtzeitig zur Geburt eintraf.
    Was Graham Greene betraf, nach dem das Baby benannt wurde, meinte Allan, er könne nur hoffen, sein kleiner Graham würde nicht in dessen Fußstapfen treten und, wie dem Romanautor nachgesagt wurde, regelmäßig ins Bordell gehen. Ruth, die den ersten Band der Greene-Biographie kurz vor dem Ende aus der Hand gelegt hatte, machte sich weit mehr Sorgen um eine andere Angewohnheit des Autors: Greene war mit Vorliebe in die Krisengebiete dieser Welt gereist, um die Situation dort aus erster Hand mitzuerleben. Das wünschte sie ihrem kleinen Graham auf keinen Fall, und auch sie selbst würde nie mehr solchen Erlebnissen nachjagen. Immerhin hatte sie mit angesehen, wie eine Prostituierte von ihrem Freier ermordet wurde, und allem Anschein nach war der Mörder ungeschoren davongekommen.
    Ruths im Entstehen begriffener Roman erfuhr eine Unterbrechung von einem Jahr. Sie zog mit ihrem Baby nach Sagaponack, was bedeutete, daß Conchita Gomez sich um den kleinen Graham kümmern konnte. Das machte auch für Allan die Anreise an den Wochenenden leichter. Von New York aus konnte er Bridgehampton mit dem Bus oder dem Zug in der Hälfte der Zeit erreichen, die er mit dem Auto nach Vermont brauchte; außerdem konnte er im Zug arbeiten.
    In Sagaponack diente ihm Teds ehemalige Werkstatt als Arbeitszimmer. Ruth behauptete, der Raum würde noch immer nach Sepiatinte stinken oder nach einem verwesten, sternnasigen Maulwurf – oder nach der Emulsion für die Polaroidfotos. Die Fotos waren längst verschwunden, aber Ruth bildete sich ein, auch die noch riechen zu können.
    Und was

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