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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Daumenabdruck gefunden werden.
    Nur weil Harry Hoekstra so gut Englisch und ein bißchen Deutsch sprach, wurde der Mörder schließlich gefaßt. Wie sich herausstellte, war die wichtigste Detailinformation im Augenzeugenbericht die Beobachtung, daß der Mörder Englisch mit einem möglicherweise deutschen Akzent sprach.
    Einen Tag nachdem Nico Jansen Harry erklärt hatte, was Rooies Mörder betraf, seien sie in einer Sackgasse angelangt, nahm sich Harry den Augenzeugenbericht noch einmal vor. Und plötzlich entdeckte er etwas, was er bisher übersehen hatte. Wenn die Muttersprache des Mörders Deutsch war, bedeutete das, daß vielleicht gar nicht von der SAS die Rede gewesen war, denn im Deutschen wie im Holländischen wird a so ausgesprochen wie im Englischen ah und e wie im Englischen ay ; und für eine amerikanische Zeugin mußte sich SES angehört haben wie SAS . Der Mörder hatte also nichts mit der skandinavischen Luftfahrtgesellschaft zu tun, sondern mit der Sicherheit eines Unternehmens, das abgekürzt SES hieß!
    Harry benötigte Nico Jansens Computer nicht, um herauszufinden, wofür SES stand. Die Internationale Handelskammer war ihm bei der Suche nach einem Unternehmen mit diesen Initialen in einer deutschsprachigen Stadt gern behilflich; es dauerte keine zehn Minuten, bis Harry den Arbeitgeber des Mörders ausfindig gemacht hatte. Die ehrwürdige Schweizer Elektronik- und Sicherheitssysteme ( SES ) hatte ihren Sitz in Zürich; sie konzipierte und installierte Alarmanlagen für Banken und Museen in ganz Europa.
    Nicht ohne leises Vergnügen suchte Harry Nico Jansen in seiner Abteilung auf, wo die Computer die Gesichter der Männer in ein unnatürliches Licht tauchten und ihre Ohren mit unnatürlichen Tönen bombardierten. »Ich hab was für dich, womit du deinen Computer füttern kannst, Nico«, sagte Harry. »Wenn ich mit deinen Kollegen in Zürich reden soll … Ich spreche besser Deutsch als du.«
    Der Kriminalbeamte in Zürich hieß Ernst Hecht; er stand kurz vor seiner Pensionierung. Vermutlich würde er nie herausfinden, wer vor fast sechs Jahren die brasilianische Prostituierte in der Langstraße ermordet hatte. Aber die Schweizer Elektronik- und Sicherheitssysteme war ihm bekannt; es war eine kleine, aber namhafte Firma, die Alarmanlagen installierte. Aus versicherungstechnischen Gründen waren sämtlichen Angestellten, die jemals ein Sicherungssystem für eine Bank oder ein Museum konzipiert oder eingebaut hatten, Fingerabdrücke abgenommen worden.
    Der Daumen, der mit dem Abdruck auf dem Emulsionsröhrchen übereinstimmte, stammte von einem ehemaligen Angestellten, einem Ingenieur namens Urs Messerli. Messerli war im Herbst 1990 in Amsterdam gewesen, um einen Kostenvoranschlag für ein Feuer- und Bewegungsmeldesystem in einem Kunstmuseum vorzubereiten. Er reiste grundsätzlich mit einer alten Großformatkamera, Typ 55, für die man 4x5-Inch-Land-Filme verwendete, mit deren Schwarzweißabzügen sämtliche Ingenieure der SES am liebsten arbeiteten. Das Besondere an diesen Polaroidfilmen war, daß sie zu jedem Positiv auch ein Negativ lieferten. Messerli hatte über siebzig Fotos in einem Amsterdamer Kunstmuseum gemacht, um zu dokumentieren, wie viele Feuer- und Bewegungsmelder erforderlich waren und wo genau sie angebracht werden sollten.
    Urs Messerli arbeitete nicht mehr für die SES , weil er schwer krank war. Er lag im Krankenhaus und würde voraussichtlich bald an einer Lungeninfektion sterben; denn er litt seit fünfzehn Jahren an einem Emphysem. (Harry Hoekstra überlegte, daß sich ein Mensch mit einem Lungenemphysem wahrscheinlich ähnlich anhörte wie ein Asthmatiker.)
    Das Universitätsspital in Zürich ist berühmt für die Behandlung von Emphysempatienten. Ernst Hecht und Harry brauchten sich keine Sorgen zu machen, daß Urs Messerli ihnen entwischte, bevor sie mit ihm reden konnten, es sei denn, er entschlüpfte ins Jenseits. Der Patient hing die meiste Zeit an einem Sauerstoffgerät.
    In jüngster Zeit hatte Messerli noch unter einem anderen Debakel zu leiden: Seine Frau, mit der er seit rund dreißig Jahren verheiratet war, wollte sich von ihm scheiden lassen. Während er im Sterben lag, während er buchstäblich nach Luft rang, erhob sie zudem Anspruch auf die zu erwartende Hinterlassenschaft. Denn zu Hause in seinem Arbeitszimmer hatte sie mehrere Fotos von nackten Frauen entdeckt. Kurz nachdem er in die Klinik gekommen war, hatte er sie gebeten, ihm ein paar wichtige Unterlagen

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