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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Stoffasern, vermutlich von der Anzughose des Mörders, hatten sich unter dem abgebrochenen Nagel verfangen; es war ein teurer Stoff gewesen, aber das half auch nicht weiter.
    Die überzeugendste Verbindung zwischen dem Mord in Zürich und dem Mord an Rooie in Amsterdam war die, daß es auch in Zürich eine Stehlampe gegeben hatte, von der Lampenschirm und Glühbirne entfernt worden waren, ohne daß sie beschädigt wurden. Daß der Täter sein Opfer fotografierte, hatte die Zürcher Polizei nicht gewußt. Bei dem Mord in Zürich gab es keinen Zeugen, und niemand hatte der dortigen Polizei ein Röhrchen Polaroidemulsion mit einem deutlichen Fingerabdruck vom rechten Daumen des mutmaßlichen Mörders geschickt.
    Allerdings stimmte kein Fingerabdruck aus dem Zimmer der Prostituierten in Zürich mit dem aus Amsterdam überein, und auch in der Interpol-Kartei in Wiesbaden befand sich kein solcher Daumenabdruck. Der zweite Abdruck auf dem Röhrchen stammte eindeutig von einem ziemlich kleinen rechten Zeigefinger. Er ließ darauf schließen, daß der mutmaßliche Zeuge das Röhrchen an beiden Seiten mit Daumen und Zeigefinger angefaßt hatte. (Alle waren sich einig, daß er von einer Frau stammen mußte, da er um einiges kleiner war als der Daumenabdruck des mutmaßlichen Mörders.)
    Einen zweiten kleinen, aber deutlichen Zeigefingerabdruck der Zeugin fand man auf einem der Schuhe, die mit den Spitzen nach außen in Rooies Wandschrank standen. Und derselbe rechte Zeigefinger hatte den Türknauf in Rooies Zimmer berührt – zweifellos hatte die Zeugin das Zimmer verlassen, nachdem der Mörder verschwunden war. Wer immer sie war, sie war Rechtshänderin und hatte eine hauchdünne Narbe genau in der Mitte der rechten Zeigefingerkuppe.
    Aber bei Interpol gab es keinen Abdruck, der diesem rechten Zeigefinger entsprach, womit Harry freilich auch nicht gerechnet hatte. Er war überzeugt, daß seine Zeugin keine Kriminelle war. Und nachdem er eine Woche lang die Prostituierten in der Umgebung befragt hatte, war er auch überzeugt, daß sie keine Prostituierte war. Wahrscheinlich war sie eine verdammte Sextouristin!
    Wie sich herausstellte, hatten innerhalb eines kurzen Zeitraums, in den paar Tagen vor dem Mord, sämtliche Prostituierten in der Bergstraat die vermeintliche Zeugin bestimmt ein halbes dutzendmal gesehen! Anneke Smeets hatte sogar mit ihr gesprochen. Die geheimnisvolle Frau hatte sich eines Abends nach Rooie erkundigt, und Anneke – in ihrem rückenfreien Lederoberteil und einen Dildo schwingend – hatte der Touristin den angeblichen Grund genannt, aus dem Rooie nachts nicht arbeitete. Sie sei bei ihrer Tochter, hatte Anneke gesagt.
    Die Prostituierten am Korsjespoortsteeg hatten die geheimnisvolle Frau ebenfalls gesehen. Eine der jüngeren Huren erklärte Harry, seine Zeugin sei eine Lesbe gewesen, aber die anderen widersprachen ihr; sie hatten die Frau voller Skepsis betrachtet, weil sie nicht dahinterkamen, was sie eigentlich wollte.
    Die Männer, die immer und immer wieder an den Schaufensterprostituierten vorbeigingen – immer nur schauten, immer scharf waren, nie eine Entscheidung trafen –, nannte man hier hengsten , und die Nutten, die Ruth Cole an ihren Fenstern hatten vorbeigehen sehen, bezeichneten sie als weiblichen Hengst. Aber natürlich gibt es so etwas nicht, und deshalb hatte die geheimnisvolle Frau ihnen Unbehagen bereitet.
    Eine von ihnen erklärte Harry: »Sie hat ausgesehen wie eine Reporterin.« (Reporter bereiteten den Prostituierten grundsätzlich großes Unbehagen.)
    Eine ausländische Journalistin? Diese Möglichkeit schloß Sergeant Hoekstra aus. Die meisten ausländischen Journalisten, die mit einem professionellen Interesse an der Prostitution nach Amsterdam kamen, wurden an ihn verwiesen.
    Von den Prostituierten in De Wallen erfuhr Harry, daß die geheimnisvolle Frau nicht immer allein gewesen war. Einmal wurde sie von einem jungen Mann begleitet, vielleicht einem Studenten. Während die Zeugin, nach der Harry suchte, etwa Mitte Dreißig war und nur Englisch gesprochen hatte, war der junge Mann eindeutig Holländer gewesen.
    Damit beantwortete sich für Sergeant Hoekstra eine Frage: Wenn seine verschwundene Zeugin eine Englisch sprechende Ausländerin war, wer hatte dann den Augenzeugenbericht auf holländisch geschrieben? Und noch eine Auskunft warf etwas Licht auf das sorgfältig in Druckbuchstaben verfaßte Schreiben, das die Zeugin Harry hatte zukommen lassen. Ein Tätowierer, den

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