Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
letzteres hatte sie bislang unangetastet gelassen.
    »Wahrscheinlich sollte ich mir mein verdammtes Schamhaar auch färben«, konnte er Hannah zu Mrs. Bascom sagen hören.
    Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Wenn er die Gesellschaft älterer Damen suchte, dann (zum Teil) auch deshalb, weil man sich bei ihnen darauf verlassen konnte, daß sie kultivierter waren als Frauen in Eddies Alter – und erst recht in Hannahs Alter. (Für Eddies Begriffe war nicht einmal Ruth »kultiviert«.)
    »Also, was hast du dir überlegt?« fragte Hannah endlich nach. In einer knappen halben Stunde würden sie Ruth wiedersehen und ihren Polizisten kennenlernen.
    Vielleicht sollte ich mir die Sache doch etwas gründlicher überlegen, dachte Eddie. Schließlich stand ihm nach dem Wochenende eine vierstündige Rückfahrt mit Hannah bevor; da war noch immer Zeit genug, um das Thema eines gemeinsamen Hauses zur Sprache zu bringen.
    »Jetzt habe ich vergessen, was ich mir überlegt habe«, erklärte er Hannah. »Aber ich bin sicher, es fällt mir wieder ein.«
    »Dann kann es wohl kaum eine von deinen überwältigenden, hirnverbrannten Ideen gewesen sein«, zog Hannah ihn auf, obwohl Eddie den Eindruck hatte, daß er noch nie eine so hirnverbrannte Idee gehabt hatte wie die, mit Hannah zusammen ein Haus zu kaufen.
    »Aber wer weiß, vielleicht fällt es mir auch nicht mehr ein«, fügte er hinzu.
    »Vielleicht hast du über einen neuen Roman nachgedacht«, mutmaßte Hannah. Wieder fuhr sie mit der Zungenspitze über den dunkelblonden Flaum auf ihrer Oberlippe. »Einen über einen jüngeren Mann und eine ältere Frau …«
    »Sehr witzig«, sagte Eddie.
    »Du brauchst nicht gleich eingeschnappt zu sein, Eddie«, meinte Hannah. »Vergessen wir mal für einen Augenblick dein Interesse an älteren Frauen …«
    »Mir ist das nur recht«, sagte Eddie.
    »Mich interessiert etwas anderes«, fuhr Hannah fort. »Ich möchte gern wissen, ob die Frauen, mit denen du dich triffst – ich meine die, die Mitte Siebzig oder achtzig sind –, noch immer sexuell aktiv sind. Ich meine, wollen die das denn?«
    »Einige von ihnen schon«, antwortete Eddie vorsichtig.
    »Ich habe schon befürchtet, daß du das sagst. Das macht mich total fertig!« sagte Hannah.
    »Glaubst du denn, daß du mit siebzig oder achtzig nicht mehr sexuell aktiv bist, Hannah?« fragte Eddie.
    »Daran mag ich nicht mal denken«, erklärte Hannah. »Kehren wir zu deinen Interessen zurück. Wenn du mit einem dieser alten Mädchen zusammen bist, sagen wir, mit Mrs. Arthur Bascom …«
    »Ich habe nicht mit Mrs. Bascom geschlafen!« unterbrach Eddie.
    »Okay, okay, noch nicht. Aber nehmen wir an, du tust es. Oder sagen wir, du tust es mit irgendeiner alten Dame, die siebzig oder achtzig ist. Ich meine, was denkst du denn dabei? Schaust du sie wirklich an und findest sie attraktiv? Oder denkst du an eine andere, wenn du mit ihr zusammen bist?«
    Eddie taten die Finger weh; er hielt das Lenkrad fester, als nötig gewesen wäre. Er dachte an Mrs. Bascoms Wohnung an der Ecke 5th Avenue und 93rd Street, an die vielen Fotos, die sie als Kind, als junges Mädchen, als junge Braut, als junge Mutter, als nicht mehr so junge Braut (sie hatte dreimal geheiratet) und als jugendlich wirkende Großmutter zeigten. Eddie konnte sie nicht ansehen, ohne sie sich in allen Phasen ihres langen Lebens vorzustellen.
    »Ich versuche, die ganze Frau zu sehen«, sagte er zu Hannah. »Natürlich sehe ich, daß sie alt ist, aber es gibt Fotos. Und wenn nicht, kann ich mir das Leben einer Frau entsprechend vorstellen. Das ganze Leben, meine ich. Ich kann mir vorstellen, wie sie ausgesehen hat, als sie deutlich jünger war als ich, weil es immer Gesten und Gesichtszüge gibt, die sich eingeprägt haben, unabhängig vom Alter. Eine alte Frau betrachtet sich selbst nicht immer als alte Frau, und ich tue es auch nicht. Wenn ich sie ansehe, versuche ich, ihr ganzes Leben zu sehen. Und das ist etwas sehr Anrührendes.«
    Er hörte zu sprechen auf, nicht nur, weil es ihm peinlich war, sondern weil Hannah angefangen hatte zu weinen. »Mich wird nie jemand so sehen«, sagte sie.
    Es war einer dieser Augenblicke, in denen Eddie hätte lügen sollen, aber er brachte kein Wort heraus. Niemand würde Hannah je so sehen. Eddie versuchte, sie sich mit sechzig vorzustellen, dann mit siebzig oder achtzig, wenn ihre direkte Sexualität etwas anderem Platz gemacht hatte … aber was? Hannahs Sexualität würde immer direkt sein!
    Eddie

Weitere Kostenlose Bücher