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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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er Tennisstunden«, vermutete Marion.
    Doch in letzter Zeit dauerten Teds Rendezvous mit Mrs. Vaughn höchstens eine Stunde. »Und letzte Woche habe ich ihn nur einmal dort abgesetzt«, berichtete Eddie.
    »Er ist mehr oder minder fertig mit ihr«, sagte Marion. »Das merke ich immer genau.«
    Eddie vermutete, daß Mrs. Vaughn in einer hochherrschaftlichen Villa wohnte, auch wenn das Anwesen auf der dem Meer zugewandten Seite der Gin Lane von hohen Hecken umgeben war, die jeden Einblick verwehrten. Die absolut gleichmäßig erbsengroßen Kiesel in der nicht einsehbaren Auffahrt waren stets frisch gerecht. Ted ließ sich von Eddie jedesmal am Beginn der Einfahrt absetzen. Vielleicht empfand er es als besonderes Vergnügen, über diese erlesenen Steine zu seinem Stelldichein zu gehen.
    Verglichen mit Ted war Eddie ein absoluter Grünschnabel in Liebesaffären, ein blutiger Anfänger, doch er hatte schnell begriffen, daß die Vorfreude fast ebenso erregend war wie das prickelnde Gefühl beim eigentlichen Akt; bei Ted vermutete Marion sogar, daß er die Vorfreude mehr genoß. Wenn Eddie in Marions Armen lag, erschien ihm das geradezu unvorstellbar.
    Sie liebten sich jeden Morgen im Kutscherhaus; wenn Marion dort übernachtete, blieb Eddie bis Tagesanbruch bei ihr. Es kümmerte sie nicht, daß der Chevy und der Mercedes, für jeden sichtbar, in der Einfahrt standen. Es kümmerte sie nicht, daß man sie jeden Abend im selben Restaurant in East Hampton zusammen essen sah. Es bereitete Marion unverhohlenes Vergnügen, Eddie beim Essen zuzusehen. Und es machte ihr Freude, sein Gesicht oder seine Hände oder Haare zu berühren, egal, wer sie beobachtete. Sie ging sogar mit Eddie zum Friseur und gab diesem genaue Anweisungen, wieviel er abschneiden und wann er mit dem Schneiden aufhören sollte. Sie wusch Eddies Wäsche. Im August fing sie an, ihm Kleidung zu kaufen.
    Es gab Zeiten, in denen Eddies Gesicht, wenn er schlief, sie so lebhaft an Thomas oder Timothy erinnerte, daß sie ihn aufweckte und (noch ganz schlaftrunken) zu einem bestimmten Foto führte, nur um ihm zu zeigen, wie er ihr plötzlich vorgekommen war. Denn wer kann schon den Gesichtsausdruck beschreiben, der die Erinnerung an einen geliebten Menschen wachruft? Wer kann voraussagen, wann ein Stirnrunzeln, ein Lächeln oder eine verrutschte Haarlocke ein flüchtiges, unleugbares Signal aus der Vergangenheit sendet? Wer kann die Macht der Assoziation ermessen, die am stärksten ist in Augenblicken der Liebe und im Gedenken an den Tod?
    Marion konnte einfach nicht anders. Bei jedem Handgriff, den sie für Eddie tat, dachte sie an alles, was sie jemals für Thomas und Timothy getan hatte; und sie kümmerte sich um jene Freuden, von denen sie annahm, daß ihre verstorbenen Söhne sie nie genossen hatten. Eddie O’Hare hatte, und sei es für noch so kurze Zeit, ihre toten Jungen wieder zum Leben erweckt.
    Obwohl es Marion egal war, ob Ted von ihrer Beziehung zu Eddie wußte, war sie doch verblüfft, daß er sich gar nicht dazu äußerte, denn Bescheid wissen mußte er. Er verhielt sich Eddie gegenüber so liebenswürdig wie eh und je; und in letzter Zeit verbrachte er auch mehr Zeit mit ihm.
    Ted hatte sich von Eddie mit einer dicken Mappe lose gebündelter Zeichnungen nach New York fahren lassen. Für die Fahrt von hundert Meilen nahmen sie Marions Mercedes. Ted dirigierte Eddie zu seiner Kunstgalerie, die sich in der Nähe der Kreuzung Thompson und Broome Street befand, in welcher der beiden Straßen, wußte Eddie nicht mehr. Nachdem Ted seine Zeichnungen abgeliefert hatte, lud er Eddie zum Mittagessen in ein Lokal ein, in dem er einmal mit Thomas und Timothy gegessen hatte. Seinen Söhnen habe es gefallen, meinte Ted. Eddie gefiel es auch. Doch auf der Heimfahrt nach Sagaponack beschlich ihn Unbehagen, als Ted meinte, er sei ihm dankbar dafür, daß er Marion ein so guter Freund sei. Sie sei so unglücklich gewesen, und es sei wunderbar, sie wieder lächeln zu sehen.
    »Das hat er gesagt?« wollte Marion von Eddie wissen.
    »Wortwörtlich.«
    »Eigenartig. Ich hätte eher eine bissige Bemerkung von ihm erwartet.«
    Doch Eddie konnte an Ted nichts »Bissiges« entdecken. Einmal hatte er eine Anspielung auf Eddies Kondition gemacht, aber Eddie konnte nicht feststellen, ob er ihm damit durch die Blume hatte sagen wollen, daß er über Eddies tagtägliche und allnächtliche sportliche Betätigung mit Marion Bescheid wußte.
    Neben dem Telefon in Teds Werkstatt hing

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