Witwe für ein Jahr (German Edition)
fahre weg und komme zurück«, log Eddie.
»Sieh zu, daß du in einer Viertelstunde wieder da bist«, ordnete Ted an. Dann bemerkte er die länglichen Fetzen des wohlvertrauten Zeichenpapiers, die vom Wind umhergewirbelt wurden. Anscheinend hatte Mrs. Vaughn seine Zeichnungen zerrissen. Die wie eine Mauer aufragende Ligusterhecke hatte weitgehend verhindert, daß die Papierschnipsel auf die Straße hinausgeweht wurden; und nun war sie mit flatternden Papierwimpeln und -streifen geschmückt, als hätten ausgelassene Hochzeitsgäste selbstgemachtes Konfetti auf dem Anwesen der Vaughns verstreut.
Als Ted langsam und beeindruckt die laut knirschende Einfahrt entlangging, stieg Eddie aus und sah ihm nach; er folgte ihm sogar ein kurzes Stück. Der Garten vor dem Haus war übersät mit dem, was von Teds Zeichnungen übriggeblieben war. Durchnäßtes, zusammengeklumptes Papier verstopfte den Springbrunnen; das Wasser hatte sich graubraun mit einem Stich Sepia verfärbt.
»Die Sepiatinte …«, sagte Ted laut. Eddie hatte bereits den Rückzug zum Wagen angetreten. Schon zuvor war ihm der Gärtner aufgefallen, der auf einer Leiter stand und Papierschnipsel aus der Hecke zupfte. Er hatte Eddie und Ted finstere Blicke zugeworfen, aber Ted hatte weder ihn noch die Leiter bemerkt; die Sepiatinte, die das Wasser im Springbrunnen verfärbte, nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. »Oje«, murmelte er, während Eddie sich entfernte.
Verglichen mit Ted war der Gärtner recht ordentlich gekleidet. Teds Kleidung wirkte immer irgendwie nachlässig und zerknittert – Jeans, ein hineingestecktes T-Shirt und (an diesem etwas kühlen Freitagmorgen) ein offenes Flanellhemd, das im Wind flatterte. Unrasiert war Ted an diesem Morgen auch; er gab sich alle Mühe, den denkbar schlechtesten Eindruck auf Mrs. Vaughn zu machen. (Auf ihren Gärtner hatten Ted und vor allem seine Zeichnungen bereits den denkbar schlechtesten Eindruck gemacht.)
»Fünf … fünf Minuten!« rief er Eddie nach. In Anbetracht des langen Tages, der vor ihm lag, spielte es kaum eine Rolle, daß Eddie ihn nicht hörte.
Als Eddie nach Sagaponack zurückkehrte, hatte Marion eine große Strandtasche für Ruth gepackt, die Handtücher und Kleidung zum Wechseln, außerdem eine lange Hose und ein Sweatshirt enthielt. Ruth trug unter Shorts und T-Shirt bereits ihren Badeanzug. »Du kannst mit ihr zu Mittag essen, wo du magst«, sagte Marion zu Eddie. »Sie ißt nie was anderes als einen überbackenen Käsesandwich und Pommes frites.«
»Und Ketchup«, fügte Ruth hinzu.
Marion wollte Eddie zehn Dollar für das Mittagessen geben.
»Ich habe Geld«, sagte Eddie, doch als er ihr den Rücken zuwandte, um Ruth in den Chevy zu helfen, steckte Marion ihm den Geldschein in die rechte Gesäßtasche seiner Jeans, und er mußte daran denken, was er empfunden hatte, als sie ihn das erste Mal zu sich herangezogen hatte; sie hatte ihre Finger in den Bund seiner Jeans gehakt, so daß ihre Knöchel seinen nackten Bauch berührten. Dann hatte sie den Hosenknopf aufgeschnippt und den Reißverschluß heruntergezogen. Noch fünf oder zehn Jahre lang mußte Eddie, jedesmal wenn er sich auszog, daran denken.
»Denk dran, Schätzchen«, sagte Marion zu Ruth, »du brauchst nicht zu weinen, wenn der Arzt die Fäden rausmacht. Ich verspreche dir, daß es nicht weh tut.«
»Darf ich die Fäden behalten?« fragte Ruth.
»Ich vermute …«, antwortete Marion.
»Klar darfst du sie behalten«, versicherte ihr Eddie.
»Bis dann, Eddie«, sagte Marion.
Sie trug eine kurze Tennishose und Tennisschuhe, obwohl sie nicht Tennis spielte, dazu ein schlotterndes Flanellhemd; es gehörte Ted. Sie trug keinen BH ; am Morgen, bevor Eddie das Haus verlassen hatte, um Ted im Kutscherhaus abzuholen, hatte Marion seine Hand genommen, sie unter ihr Hemd geschoben und an ihre nackte Brust gedrückt. Doch als er sie küssen wollte, entzog sie sich ihm, und Eddies rechte Hand blieb mit der Erinnerung an dieses Gefühl zurück; noch zehn oder fünfzehn Jahre später konnte Eddie spüren, wie sich Marions Brust anfühlte.
»Erzähl mir was über die Fäden«, sagte Ruth zu Eddie, als er unterwegs links abbog.
»Du wirst es kaum spüren, wenn der Arzt sie rausmacht«, sagte Eddie.
»Und warum nicht?«
Bevor sie wieder abbogen, diesmal rechts, sah er Marion und den Mercedes ein letztes Mal im Rückspiegel. Eddie wußte, daß sie nicht rechts abbiegen würde, denn der Umzugswagen wartete ein Stück weiter
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