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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Vaughnschen Anwesen vorbei, damit Eddie ihn keinesfalls verpaßte, falls er (aus irgendeinem Grund) am westlichen Ende der Gin Lane, an der Kreuzung South Main Street, auf ihn wartete.
    Nach Ansicht des Gärtners war dies ein unkluger, ja geradezu leichtsinniger Schritt. Denn von dem Türmchen im zweiten Stock ihres imposanten Hauses aus konnte Mrs. Vaughn über die Ligusterhecke hinwegsehen. Falls sich die ungerecht behandelte Frau dort oben befand, hatte sie einen guten Überblick über die gesamte Gin Lane.
    Sie mußte tatsächlich Ausschau gehalten haben, denn keine halbe Minute nachdem sich Ted an Mrs. Vaughns Einfahrt vorbeigeschlichen hatte – jetzt beschleunigte er seine Schritte auf der Gin Lane –, hörte der Gärtner ihren Wagen beängstigend aufheulen. Es war ein schwarz schimmernder Lincoln, und er schoß so schnell aus der Garage, daß er auf dem feinen Kies im Hof ins Rutschen kam und um ein Haar in den verdreckten Springbrunnen gerumpelt wäre. Bei dem Versuch, ihm in letzter Sekunde auszuweichen, geriet Mrs. Vaughn zu nahe an die Ligusterhecke; der Lincoln nahm das untere Ende der Leiter mit, so daß der arme Gärtner verstört am oberen Heckenrand hängenblieb. »Laufen Sie!« rief er Ted zu.
    Daß Ted den nächsten Tag noch erlebte, verdankte er dem regelmäßigen, eisernen Training auf seinem Squashcourt, der so ausgelegt war, daß er ihm einen unfairen Vorteil verschaffte. Selbst mit fünfundvierzig lief Ted Cole noch recht beachtlich. Er sprang über ein paar Rosenbüsche hinweg, ohne das Tempo zu verringern, und rannte vor den Augen eines Mannes, der den Boden seines Swimmingpools absaugte und ihn nur schweigend anglotzte, über dessen Rasen. Dann wurde er von einem Hund verfolgt, der zum Glück klein und feige war; mit einem Damenbadeanzug, den Ted von einer Wäscheleine riß und dem Hund ins Gesicht klatschte, konnte er das ängstliche Tier verscheuchen. Natürlich mußte er sich von mehreren Gärtnern, Hausmädchen und Hausfrauen anbrüllen lassen; davon unbeeindruckt, kletterte er über drei Zäune und überwand eine ziemlich hohe Steinmauer. Er trampelte lediglich durch zwei Blumenbeete und bekam gar nicht mit, daß Mrs. Vaughns Lincoln um die Ecke Gin Lane und South Main Street schrägte und im Eifer des Gefechts ein Straßenschild ummähte; doch dann sah er, durch die Latten eines Holzzauns, den leichenwagenschwarzen Lincoln parallel zu sich durch die Toylsome Lane flitzen, während er zwei Rasengrundstücke durchquerte, einen Garten voller Obstbäume und eine Art japanischen Garten, wo er in einen seichten Goldfischteich tappte, so daß seine Schuhe und seine Jeans (bis zu den Knien) naß wurden.
    Ted machte kehrt und lief die Toylsome Lane zurück. Als er sie zu überqueren wagte, sah er die Bremslichter des schwarzen Lincoln aufleuchten und befürchtete schon, Mrs. Vaughn hätte ihn im Rückspiegel erspäht und wollte ebenfalls umkehren. Aber sie hatte ihn nicht bemerkt; er hatte sie abgehängt. Als Ted Southampton erreichte, sah er ziemlich derangiert aus, marschierte aber beherzt mitten ins Geschäftszentrum an der South Main Street. Hätte er nicht so intensiv nach dem schwarzen Lincoln Ausschau gehalten, hätte er womöglich seinen eigenen 57er Chevy bemerkt, der vor dem Rahmengeschäft in der South Main parkte; doch Ted ging unmittelbar an seinem Wagen vorbei, ohne ihn zu sehen, und betrat die Buchhandlung schräg gegenüber.
    Dort kannte man ihn. Freilich kannte man Ted Cole in jeder Buchhandlung, aber dieser stattete er regelmäßige Besuche ab, um sämtliche vorhandenen Exemplare seiner Backlist-Titel zu signieren. Der Buchhändler und seine Angestellten waren es nicht gewohnt, daß Mr. Cole derart ungepflegt hier aufkreuzte wie an diesem Freitagvormittag; unrasiert allerdings hatten sie ihn durchaus schon erlebt, und oft war er eher wie ein College-Student oder Arbeiter gekleidet als so, wie es für Bestsellerautoren und Kinderbuchillustratoren jeweils gerade Mode war.
    Vor allem das Blut verlieh Teds äußerer Erscheinung einen neuen Akzent. Sein zerschrammtes, blutiges Gesicht und seine dreck- und blutverschmierten Hände, mit denen er sich gewaltsam den Weg in die hundert Jahre alte Hecke und wieder heraus gebahnt hatte, veranlaßten den verwunderten Buchhändler, der (aus unerfindlichen Gründen) Mendelssohn hieß, zu der Vermutung, daß es sich um einen Unfall oder um schwere Körperverletzung handelte. Dieser Mendelssohn war nicht mit dem deutschen Komponisten

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