Witwe für ein Jahr (German Edition)
»Sie war nur eine Sekunde lang entblößt, aber es war, als würde ich sie schon genau kennen.« Und da wurde ihm auf einmal klar, was es mit Mrs. Vaughns Geruch auf sich hatte. »Und als ich sie hochheben und ins Haus tragen mußte, ist mir ihr Geruch aufgefallen, derselbe Geruch wie auf den Kissen, nur stärker. So stark, daß ich würgen mußte.«
»Wie hat sie denn gerochen?«
»Wie etwas Totes.«
»Arme Mrs. Vaughn.«
Kein Grund zur Panik vormittags um zehn
Es war kurz vor acht am Freitag morgen, als Eddie Ted im Kutscherhaus abholte, um ihn nach Southampton zu seinem vermeintlich halbstündigen Treffen mit Mrs. Vaughn zu fahren. Eddie war extrem nervös, und das nicht nur, weil er befürchtete, daß Ted Mrs. Vaughn sehr viel länger am Hals haben würde, als er annahm. Aber Marion hatte sozusagen ein Drehbuch für Eddies Tagesablauf geschrieben. Eddie mußte sich eine Menge merken.
Als er und Ted in Sagaponack am Gemischtwarenladen anhielten, um einen Kaffee zu trinken, wußte Eddie genau, was es mit dem Umzugswagen auf sich hatte, der dort stand. Die beiden robusten Möbelpacker tranken in der Fahrerkabine Kaffee und lasen die Morgenzeitung. Sobald Eddie von Mrs. Vaughn zurückgekehrt und mit Ruth zum Arzt gefahren war, um die Fäden entfernen zu lassen, würde sich Marion auf den Weg hierher machen. Die Umzugsleute hatten, wie Eddie, genaue Anweisungen erhalten: Sie sollten vor dem Geschäft warten, bis Marion sie abholte. Weder Ted noch Ruth – noch die Kindermädchen, die heute frei hatten – würden die Möbelpacker zu Gesicht bekommen.
Bis Ted es schaffte, von Southampton nach Hause zu kommen, würde der Möbelwagen (mit allem, was Marion mitnehmen wollte) verschwunden sein. Und Marion ebenfalls. Sie hatte Eddie vorgewarnt. Somit blieb es ihm überlassen, Ted alles zu erklären; das war das Drehbuch, das Eddie sich auf dem Weg nach Southampton einzuprägen versuchte.
»Aber wer soll Ruth alles erklären?« hatte Eddie gefragt. Marions Gesicht hatte den gleichen entrückten Zug angenommen wie damals, als Eddie sie nach dem Unfall gefragt hatte. Den Teil des Drehbuchs, in dem jemand Ruth alles erklärt, hatte Marion eindeutig nicht vorausbedacht.
»Wenn Ted dich fragt, wo ich bin, sagst du einfach, du weißt es nicht«, sagte sie zu Eddie.
»Aber wo willst du denn hin?« fragte Eddie.
»Du weißt es nicht«, wiederholte Marion. »Sollte Ted unbedingt eine genauere Antwort auf irgendwelche Fragen haben wollen, sagst du einfach, mein Anwalt wird sich mit ihm in Verbindung setzen. Er wird ihm alles erklären.«
»Na, wunderbar«, sagte Eddie.
»Und wenn er dich schlägt, schlägst du einfach zurück. Übrigens wird er nicht mit der Faust zuschlagen, schlimmstenfalls mit der flachen Hand. Aber schlag du mit der Faust«, riet ihm Marion. »Und ziel am besten auf die Nase. Wenn du ihn mit der Faust auf die Nase schlägst, hört er auf.«
Aber was war mit Ruth? In diesem Punkt war das Drehbuch sehr vage. Wenn Ted anfing herumzubrüllen, wieviel durfte Ruth hören? Wenn es zu Handgreiflichkeiten kam, wieviel durfte sie sehen? Und da die Kindermädchen frei hatten, würde Ruth entweder bei Ted oder bei Eddie oder auch bei beiden bleiben müssen. Sie würde sich doch sicher furchtbar aufregen.
»Du kannst Alice anrufen, wenn du Hilfe brauchst«, schlug Marion vor. »Ich habe Alice gesagt, daß möglicherweise einer von euch anruft. Ich habe sogar mit ihr ausgemacht, daß sie sich am Nachmittag meldet, um zu hören, ob ihr sie vielleicht doch braucht.« Alice war das Kindermädchen für den Nachmittag, die hübsche College-Studentin mit dem eigenen Auto. Sie war das Kindermädchen, das Eddie am wenigsten mochte.
Als er Marion daran erinnerte, meinte sie: »Du solltest dich lieber gut mit ihr stellen. Wenn Ted dich rauswirft – und ich kann mir nicht vorstellen, daß er dich hierbehalten möchte –, brauchst du jemanden, der dich zur Fähre nach Orient Point bringt. Ted scheidet aus, wie du weißt, und außerdem würde er dich ohnehin nicht fahren wollen.«
»Ted wirft mich raus, und ich muß Alice bitten, mich zur Fähre zu bringen«, wiederholte Eddie mechanisch.
Statt einer Antwort gab Marion ihm einen Kuß.
Und dann war es soweit. Als Eddie vor Mrs. Vaughns nicht einsehbarer Einfahrt in der Gin Lane anhielt, sagte Ted: »Du wartest besser hier auf mich. Ich werde mich keine halbe Stunde bei dieser Frau aufhalten. Vielleicht zwanzig Minuten, höchstens. Vielleicht auch nur zehn …«
»Ich
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