Witwe für ein Jahr (German Edition)
angesehen?«
»Nein«, log Eddie.
»Verdammt noch mal, natürlich hast du sie dir angesehen.«
»Sie hat sich vor mir entblößt«, berichtete Eddie.
»Heilige Scheiße! Was hat sie getan?«
»Es geschah nicht mit Absicht«, räumte Eddie ein, »aber sie hat sich entblößt. Es war der Wind, er hat ihren Bademantel auseinandergeweht.«
»Heilige Scheiße …«, sagte Ted.
»Sie hat sich deinetwegen ausgesperrt. Sie hat gesagt, du legst Wert darauf, daß alle Türen verschlossen sind und der Gärtner nicht da ist.«
»Das hat sie gesagt?«
»Ich mußte ins Haus einbrechen. Ich habe mit einem Stein aus dem Vogelbad die Verandatür eingeschlagen. Und dann mußte ich sie über die Glasscherben tragen«, beklagte sich Eddie. »Mein T-Shirt ist auch im Eimer.«
»Wen juckt schon dein T-Shirt?« schrie Ted. »Ich kann am Freitag nicht den ganzen Tag mit ihr verbringen. Du mußt mich gleich in der Früh dort absetzen, und eine Dreiviertelstunde später kommst du zurück und holst mich wieder ab. Vergiß es, eine halbe Stunde später! Ich kann unmöglich eine Dreiviertelstunde mit diesem verrückten Weib verbringen.«
»Du mußt mir einfach vertrauen, Eddie«, sagte Marion. »Ich werde dir genau sagen, was wir tun.«
»Na gut«, sagte Eddie. Er mußte ununterbrochen an die schlimmste aller Zeichnungen denken. Er wollte Marion von Mrs. Vaughns Geruch erzählen, war aber nicht imstande, ihn zu beschreiben.
»Am Freitag früh setzt du ihn also bei Mrs. Vaughn ab«, begann Marion.
»Ich weiß!« sagte er. »Nur für eine halbe Stunde.«
»Nein, nicht nur für eine halbe Stunde«, klärte Marion ihn auf. »Er bleibt länger dort, denn du wirst nicht zurückkommen und ihn abholen. Und ohne Auto braucht er fast den ganzen Tag, um nach Hause zu kommen. Jede Wette, daß Mrs. Vaughn ihm nicht anbieten wird, ihn heimzufahren.«
»Aber was wird er dann tun?« wollte Eddie wissen.
»Du brauchst keine Angst um Ted zu haben«, beruhigte ihn Marion. »Was er tun wird? Wahrscheinlich wird ihm einfallen, daß der einzige Mensch, den er in Southampton kennt, Doktor Leonardis ist.« (Dave Leonardis war einer von Teds regelmäßigen Squashpartnern.) »Ted braucht eine halbe Stunde oder länger, um zu Fuß zu Doktor Leonardis’ Praxis zu gelangen«, fuhr Marion fort. »Und was wird er dann tun? Er wird den ganzen Tag warten müssen, bis Leonardis sämtliche Patienten abgefertigt hat und ihn endlich nach Hause fahren kann – es sei denn, unter den Patienten ist ein Bekannter von Ted oder jemand, der zufällig in Richtung Sagaponack fährt.«
»Ted wird wütend sein«, gab Eddie zu bedenken.
»Du mußt mir einfach vertrauen, Eddie.«
»Na gut.«
»Nachdem du Ted bei Mrs. Vaughn abgeliefert hast, kommst du hierher zurück und holst Ruth ab«, fuhr Marion fort. »Dann fährst du mit ihr zum Arzt, um die Fäden ziehen zu lassen. Und anschließend möchte ich, daß du mit ihr an den Strand fährst. Sie darf sich ruhig naß machen, sie soll es richtig genießen, daß die Fäden raus sind.«
»Entschuldige«, unterbrach Eddie, »aber wieso geht nicht eins von den Kindermädchen mit Ruth an den Strand?«
»Am Freitag kommt kein Kindermädchen«, teilte Marion ihm mit. »Ich brauche den Tag, oder zumindest so viel Zeit, wie du mir verschaffen kannst, um hier ungestört zu sein.«
»Und was hast du vor?«
»Das werde ich dir genau sagen«, versicherte sie ihm noch einmal. »Du mußt mir einfach vertrauen, voll und ganz.«
»Na gut«, sagte Eddie, doch zum erstenmal vertraute er ihr nicht, jedenfalls nicht voll und ganz. Immerhin war er ihre Schachfigur; und heute hatte er bereits einen Tag erlebt, wie er für eine Schachfigur typisch sein mochte.
»Ich habe mir die Zeichnungen von Mrs. Vaughn angesehen«, gestand er Marion.
»Gütiger Himmel!« rief sie. Er wollte nicht wieder weinen, ließ aber zu, daß sie sein Gesicht an ihre Brust zog und ihn festhielt, während er mühsam aussprach, was er empfand.
»Auf den Zeichnungen war sie irgendwie mehr als nackt«, begann er.
»Ich weiß«, hauchte Marion und küßte ihn auf den Scheitel.
»Es war nicht nur, daß sie nackt war«, fuhr Eddie beharrlich fort, »es war, als könnte man alles sehen, was sie über sich hat ergehen lassen. Sie sah aus, als wäre sie gefoltert worden oder so was Ähnliches.«
»Ich weiß«, sagte Marion wieder. »Es tut mir schrecklich leid …«
»Und als der Wind ihren Bademantel auseinandergeweht hat, habe ich sie gesehen«, platzte Eddie heraus.
Weitere Kostenlose Bücher