Witwe für ein Jahr (German Edition)
daß sie beim Erzählen endgültig in den Wahnsinn abgeglitten wäre, einen viel tieferen Wahnsinn als den, der sie bewogen hatte, ihr einziges noch lebendes Kind zu verlassen.
»Also, es war so«, begann Ted. »Thomas hatte den Führerschein, Timothy aber nicht. Tommy war siebzehn, er fuhr seit einem Jahr. Und Timmy war fünfzehn; er hatte gerade die ersten Fahrstunden bei seinem Vater genommen. Ted hatte auch Thomas das Fahren beigebracht; seiner Meinung nach war Timothy, der es erst lernte, schon jetzt ein aufmerksamerer Schüler, als Thomas es je gewesen war. Nicht, daß Thomas ein schlechter Fahrer gewesen wäre. Er paßte gut auf, fuhr selbstsicher und hatte ein ausgezeichnetes Reaktionsvermögen. Er war zynisch genug, die Reaktionen schlechter Fahrer vorauszuahnen, noch bevor diese wußten, was sie als nächstes tun würden. Das sei ganz entscheidend, hatte Ted ihm eingeschärft, und Thomas glaubte es: Geh immer davon aus, daß alle anderen Autofahrer Fehler machen.
In einem besonders wichtigen Punkt jedoch hielt Ted seinen jüngeren Sohn Timothy für einen besseren – oder potentiell besseren – Fahrer als Thomas: Timothy war von Natur aus geduldiger als Thomas. Zum Beispiel schaute er immer wieder gewissenhaft in den Rückspiegel, während Tommy das nicht so regelmäßig tat, wie Ted es für notwendig hielt. Vor allem beim Linksabbiegen wird die Geduld des Fahrers auf höchst subtile Weise auf die Probe gestellt – sprich: Wenn man anhalten und den entgegenkommenden Verkehr abwarten muß, bis man links abbiegen kann, darf man die Räder als Vorbereitung auf die Kurve, die man gleich fahren wird, grundsätzlich nie nach links einschlagen. Niemals!
Jedenfalls«, fuhr Ted fort, »gehörte Thomas zu diesen ungeduldigen jungen Männern, die die Räder häufig schon einschlagen, bevor sie links abbiegen können; dabei ermahnten sein Vater und seine Mutter – und sogar sein jüngerer Bruder – ihn immer wieder, sie ja nicht einzuschlagen, bevor er nicht wirklich abbog. Und weißt du auch, weshalb, Eddie?« fragte Ted.
»Damit man, wenn einem einer hinten drauffährt, nicht auf die Gegenfahrbahn gerät«, antwortete Eddie, »sondern nur geradeaus weitergeschoben wird und in der eigenen Spur bleibt.«
»Wer hat dir das Fahren beigebracht, Eddie?« fragte Ted.
»Mein Dad.«
»Gut für ihn! Sag ihm in meinem Namen, daß er seine Sache gut gemacht hat.«
»Mach ich«, antwortete Eddie im Dunkeln. »Erzähl weiter …«
»Also. Wo waren wir stehengeblieben? Wir waren übrigens drüben im Westen und machten dort unseren Frühjahrs-Skiurlaub, wie viele Leute von der Ostküste, denen die Schneeverhältnisse in dieser Jahreszeit hier zu unsicher sind. Wenn man sichergehen will, daß man im März oder April noch Schnee hat, fährt man besser weiter nach Westen. Und so kam es, daß sich dort lauter Urlaubsgäste von der Ostküste aufhielten, die sich im Westen nicht auskannten. Nicht nur Exeter hatte Semesterferien, auch unzählige andere Schulen und Universitäten; es gab viele Ortsfremde, die weder mit den Bergen vertraut waren noch mit den Straßen. Und viele dieser Skiurlauber fuhren Mietwagen, die ihnen ebenfalls nicht vertraut waren. Auch die Familie Cole hatte einen Wagen gemietet.«
»Ich kann mir die Situation vorstellen«, sagte Eddie, überzeugt, daß Ted sich bewußt Zeit ließ, um zu dem zu gelangen, was geschehen war – wahrscheinlich weil es ihm fast so wichtig war, daß Eddie den Unfall vorhersah , wie daß er ihn buchstäblich sah .
»Also. Es war nach einem langen Skitag, und es hatte den ganzen Tag geschneit. Der Schnee war naß und schwer. Ein, zwei Grad wärmer«, sagte Ted, »und er wäre als Regen heruntergekommen. Ted und Marion waren keine so zähen und unermüdlichen Skifahrer mehr wie ihre beiden Söhne. Thomas und Timothy mit ihren siebzehn beziehungsweise fünfzehn Jahren fuhren ihren Eltern längst davon. Ted und Marion waren damals vierzig und vierunddreißig und beendeten den Tag auf der Piste häufig etwas eher als ihre Söhne. An diesem Tag nun hatten sich Ted und Marion in die Bar an der Talstation zurückgezogen, wo sie ziemlich lange (wie es ihnen vorkam) warteten, bis Thomas und Timothy ihre letzte Abfahrt beendet hatten – und danach die allerletzte. Du weißt ja, wie Jungen sind, sie kriegen nie genug vom Skifahren, und den Eltern bleibt nichts anderes übrig, als zu warten …«
»Ich kann mir die Situation vorstellen – du warst betrunken«, sagte Eddie.
»Das war
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