Witwe für ein Jahr (German Edition)
schmeckte aber bitter. Eddie trank es nicht aus. Durch den Gang zum Kühlschrank – diesmal hatte er das Licht in der Küche angemacht (und angelassen) – war Ted in seinen Gedanken unterbrochen worden. Er hatte die Sache mit dem Garten vergessen und dachte jetzt unmittelbar an Marion.
»Ich kann es einfach nicht glauben, daß sie das Sorgerecht für ihre Tochter nicht will«, sagte Ted.
»Ich weiß nicht, ob es das ist«, entgegnete Eddie. »Es geht nicht darum, daß sie Ruth nicht will. Sie möchte ihr einfach keine schlechte Mutter sein. Sie glaubt, sie würde ihre Sache schlecht machen.«
»Was muß das für eine Mutter sein, die ihre Tochter verläßt?« fragte Ted. »Ein gutes Beispiel dafür, daß sie ›ihre Sache schlecht macht‹!«
»Sie hat gesagt, daß sie früher einmal Schriftstellerin werden wollte«, sagte Eddie.
»Marion ist eine Schriftstellerin, sie schreibt nur nicht«, erwiderte Ted.
Marion hatte Eddie erklärt, sie könne sich unmöglich den Gedanken tief in ihrem Innern zuwenden, solange sie an nichts anderes denken konnte als an den Tod ihrer Söhne. Behutsam sagte Eddie: »Ich glaube, Marion wäre noch immer gern Schriftstellerin, aber der Tod der Jungen ist ihr einziges Thema. Ich meine, es ist das einzige Thema, das sich ihr ständig aufdrängt, und darüber kann sie nicht schreiben.«
»Mal sehen, ob ich dir folgen kann, Eddie«, sagte Ted. »Also … Marion nimmt sämtliche Fotos von den Jungen, die sie in die Finger bekommen kann, und auch sämtliche Negative mit und geht fort, um Schriftstellerin zu werden, weil der Tod der Jungen das einzige Thema ist, das sich ihr ständig aufdrängt, obwohl sie nicht darüber schreiben kann. Tja …«, sagte Ted, »das klingt wirklich sehr plausibel, findest du nicht?«
»Ich weiß nicht recht«, sagte Eddie. Egal, welche Theorie man in bezug auf Marion vertrat, sie war unbefriedigend; in dem, was andere über sie wußten oder sagten, klaffte eine Lücke. »Ich kenne sie nicht gut genug, um sie einzuschätzen«, gab Eddie zu.
»Ich will dir was verraten, Eddie«, sagte Ted. »Ich kenne sie auch nicht gut genug, um sie einzuschätzen.«
Eddie glaubte ihm aufs Wort, wollte Ted aber keine Gelegenheit geben, sich tugendhaft vorzukommen. »Vergiß nicht, daß sie im Grunde genommen dich verläßt«, sagte er. »Vermutlich kennt sie dich ziemlich gut.«
»Gut genug, um mich einzuschätzen, meinst du? Aber sicher!« bestätigte Ted. Sein Glas war schon wieder halb leer. Er lutschte ein paar Eiswürfel und spuckte sie ins Glas zurück; dann trank er wieder einen Schluck. »Aber dich verläßt sie auch, Eddie, habe ich recht?« fragte Ted. »Du erwartest doch nicht, daß sie dich anruft, um sich mit dir zu treffen, oder?«
»Nein, ich rechne nicht damit, von ihr zu hören«, gestand Eddie.
»Tja … ich auch nicht«, sagte Ted. Wieder spuckte er ein paar Eiswürfel ins Glas. »Mein Gott, dieses Zeug schmeckt wirklich scheußlich«, sagte er.
»Hast du eigentlich Zeichnungen von Marion?« fragte Eddie unvermittelt. »Hast du sie irgendwann mal gezeichnet?«
»Das ist ewig lang her«, meinte Ted. »Möchtest du sie sehen?« Auch im Halbdunkel – nur aus den Küchenfenstern fiel etwas Licht in den Garten – spürte Eddie, daß es Ted widerstrebte, ihm die Zeichnungen zu zeigen.
»Klar«, sagte Eddie. Er folgte Ted ins Haus. Ted knipste das Licht in der Diele an, und dann standen sie beide in Teds Werkstatt; nach der Dunkelheit im Garten wirkte die Neonbeleuchtung unnatürlich hell.
Alles in allem gab es nicht einmal ein Dutzend Zeichnungen von Marion. Erst dachte Eddie, es müsse am Licht liegen, daß sie irgendwie unnatürlich aussahen.
»Es sind die einzigen Zeichnungen, die ich aufgehoben habe«, sagte Ted, als müßte er sich verteidigen. »Marion hat nie gern Modell gestanden.« Für Eddie war offensichtlich, daß Marion sich auch nicht hatte ausziehen wollen – es gab keine Aktzeichnungen. (Jedenfalls keine, die Ted aufbewahrt hatte.) Auf den Zeichnungen, auf denen sie mit Thomas und Timothy zu sehen war, mußte sie noch sehr jung gewesen sein, weil die Jungen noch sehr klein waren, aber Marions Schönheit war in Eddies Augen alterslos. Abgesehen von ihrem attraktiven Äußeren hatte Ted im Grunde nur Marions Reserviertheit eingefangen. Vor allem wenn sie allein dasaß, wirkte sie distanziert, geradezu kühl.
Dann wurde Eddie klar, worin sich die Marion-Zeichnungen von Teds anderen Zeichnungen unterschieden, am auffallendsten von
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