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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Stiefels hinderte Eddie daran, ihn zu sehen, und daß er den Schuh nicht sehen konnte, bewahrte ihn davor, das Bein zu sehen. Er konnte es sich nicht einmal vorstellen.
    Glücklicher Eddie. Marion hatte nicht so viel Glück. Sie würde sich immer an den blutgetränkten Schuh erinnern; und die genauen Einzelheiten des Schuhs würden immer auch die Erinnerung an das Bein wachrufen.
    Arbeiten für Mr. Cole

    Weil Eddie nicht wußte, was für eine Art von Schuh es gewesen war, schlief er unwillkürlich wieder ein. Als er aufwachte, fiel die Sonne flach durch das Fenster, dessen Vorhang zurückgezogen war; der Himmel war blau, blank und wolkenlos. Eddie öffnete das Fenster, um festzustellen, wie kalt es war – es würde eine kühle Überfahrt werden, vorausgesetzt, irgend jemand brachte ihn zur Fähre nach Orient Point –, und da sah er in der Einfahrt ein ihm unbekanntes Fahrzeug. Es war ein Pick-up. Auf der Ladefläche befanden sich einer dieser Rasenmäher, die aussehen wie ein kleiner Traktor, und einer zum Hinterherlaufen, außerdem mehrere Rechen, Spaten und Hacken und ein Sortiment Rasensprenger; dazu ein langer, sorgfältig aufgerollter Gartenschlauch.
    Ted Cole mähte seinen Rasen selbst und goß ihn nur, wenn man ihm ansah, daß er es dringend nötig hatte, oder wenn er selbst gerade Zeit hatte. Da der Garten nicht angelegt war, weil Ted und Marion sich nicht hatten einigen können, verdiente er wohl kaum die ganztägige Aufmerksamkeit eines Gärtners.
    Eddie zog sich an und ging in die Küche hinunter; von dort aus konnte er den Mann im Pick-up besser sehen. Ted, der erstaunlicherweise schon auf war und Kaffee gekocht hatte, spähte durch ein Küchenfenster hinaus zu dem geheimnisvollen Gärtner, der für ihn nichts Geheimnisvolles an sich hatte.
    »Das ist Eduardo«, flüsterte er Eddie zu. »Was hat Eduardo hier zu suchen?«
    Nun erkannte auch Eddie Mrs. Vaughns Gärtner, obwohl er ihn nur einmal – und auch da nur kurz – gesehen hatte, als Eduardo von seiner erhöhten Position auf der Leiter aus finster auf Eddie herabgeblickt hatte, während er pornographische Papierschnipsel aus der Ligusterhecke der Vaughns zupfte.
    »Vielleicht hat Mrs. Vaughn ihn beauftragt, dich umzubringen«, spekulierte Eddie.
    »Doch nicht Eduardo!« sagte Ted. »Aber siehst du sie irgendwo? Sie ist nicht in der Fahrerkabine und hinten auch nicht.«
    »Vielleicht hat sie sich unter dem Wagen versteckt«, mutmaßte Eddie.
    »Ich meine es ernst, verdammt noch mal«, sagte Ted.
    »Ich auch«, erwiderte Eddie.
    Beide hatten allen Grund, anzunehmen, daß Mrs. Vaughn zu einem Mord fähig war, aber anscheinend war Eduardo Gomez allein. Er saß einfach nur in seinem Fahrzeug, und Ted und Eddie konnten den Dampf aus seiner Thermoskanne aufsteigen sehen, als er sich einen Becher Kaffee einschenkte. Der Gärtner wartete höflich ab, bis sich im Haus etwas rührte und er annehmen durfte, daß dessen Bewohner aufgewacht waren.
    »Geh doch mal raus und frag ihn, was er will«, forderte Ted Eddie auf.
    »Ich doch nicht«, sagte Eddie. »Ich bin entlassen, oder etwa nicht?«
    »Herrgott noch mal … dann komm wenigstens mit.«
    »Ich bleibe lieber in der Nähe des Telefons«, meinte Eddie. »Wenn er ein Gewehr hat und auf dich schießt, rufe ich die Polizei.«
    Aber Eduardo Gomez war unbewaffnet; seine einzige Waffe war ein harmlos aussehendes kleines Blatt Papier, das er aus seiner Brieftasche zog. Er zeigte es Ted; es war der verschmierte, unleserliche Scheck, den Mrs. Vaughn in ihrem Springbrunnen hatte schwimmen lassen.
    »Sie hat gesagt, das ist mein letzter Gehaltsscheck«, erklärte Eduardo.
    »Sie hat Sie rausgeworfen?« fragte Ted.
    »Nur weil ich Sie gewarnt habe, daß sie hinter Ihnen her ist«, sagte Eduardo.
    »Soso«, meinte Ted und betrachtete den wertlosen Scheck. »Er ist völlig unleserlich«, sagte er zu Eduardo. »Er könnte ebensogut unausgefüllt sein.« Von seinem Ausflug in den Springbrunnen hatte der Scheck eine Patina aus verblaßter Sepiatinte zurückbehalten.
    »Es war nicht mein einziger Job«, erklärte der Gärtner, »aber der wichtigste. Meine Haupteinnahmequelle.«
    »Soso«, sagte Ted. Er reichte Eduardo den sepiafarbenen Scheck, den dieser wieder feierlich in seine Brieftasche steckte. »Ich möchte sichergehen, daß ich Sie richtig verstehe, Eduardo«, begann Ted. »Sie sind der Meinung, daß Sie mir das Leben gerettet und deshalb Ihren Job verloren haben.«
    »Ich habe Ihnen das Leben gerettet, und deshalb

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