Witwe für ein Jahr (German Edition)
Autofahrer, Eddie« – mehr brachte er nicht über die Lippen. Er streckte ihm die Hand hin. Eddie ergriff sie. Zögernd gab er ihm mit der Linken das zerdrückte, wie ein Laib Brot geformte Geschenk für Ruth. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als es ihrem Vater zu überreichen.
»Das ist für Ruth, aber ich weiß nicht, was drin ist«, sagte Eddie. »Es ist von meinen Eltern. Es hat den ganzen Sommer in meinem Matchsack gelegen«, erklärte er. Angewidert betrachtete Ted das zerknitterte Geschenkpapier, das sich schon aufzulösen begann. Das Geschenk schrie danach, ausgepackt zu werden, und sei es nur, um seine schauerliche Umhüllung loszuwerden. Natürlich war Eddie neugierig, was es war; und er befürchtete, daß es ihm peinlich sein würde. Er spürte deutlich, daß Ted es ebenfalls auspacken wollte.
»Soll ich es aufmachen, oder soll ich es Ruth aufmachen lassen?« fragte Ted.
»Wie wär’s, wenn du es aufmachst?« schlug Eddie vor.
Als Ted das Geschenkpapier entfernte, kam ein Kleidungsstück zum Vorschein, ein kleines T-Shirt. Welches vierjährige Kind interessiert sich schon für Kleidung? Hätte Ruth das Geschenk ausgepackt, wäre sie enttäuscht gewesen, daß es sich weder um ein Spielzeug noch um ein Buch handelte. Außerdem war ihr das T-Shirt schon jetzt zu klein; bis zum nächsten Sommer, wenn wieder T-Shirt-Wetter war, wäre das Kind völlig rausgewachsen.
Ted entfaltete das T-Shirt und hielt es hoch, damit Eddie es sehen konnte. Das Exeter-Emblem hätte ihn nicht überraschen dürfen, aber er hatte soeben – zum erstenmal in sechzehn Jahren – drei Monate in einer Welt verbracht, in der die Academy nicht tagein, tagaus im Mittelpunkt aller Gespräche stand. Quer über der Brust des kleinen T-Shirts stand in einem grauen Feld in kastanienbraunen Buchstaben:
EXETER 197-
Ted zeigte Eddie auch die beigefügte Karte seines Vaters: »Es ist zwar unwahrscheinlich – zumindest zu unseren Lebzeiten –, daß die Academy jemals Mädchen aufnehmen wird, aber ich dachte mir, Sie als alter Exonianer würden es zu schätzen wissen, wenn Ihre Tochter die Möglichkeit hätte, die Exeter Academy zu besuchen. Ich danke Ihnen, daß Sie meinem Sohn seinen ersten Job geben!« Unterschrieben war die Karte mit Joe O’Hare, 1936. Eine ironische Fügung, dachte Eddie, daß Ted und Marion im selben Jahr geheiratet hatten, in dem sein Vater seinen Abschluß in Exeter gemacht hatte.
Eine noch ironischere Fügung des Schicksals war, daß Ruth Cole tatsächlich nach Exeter ging, obwohl Minty (und ein Großteil seiner Kollegen) die Einführung der Koedukation an der alten Academy für sehr unwahrscheinlich gehalten hatte. Am 27. Februar 1970 verkündete das Kuratorium, Exeter würde im Herbst des kommenden Jahres auch Mädchen aufnehmen. Daraufhin kehrte Ruth Long Island den Rücken und besuchte die altehrwürdige Internatsschule in New Hampshire. Sie war sechzehn. Mit neunzehn, im Jahr 1973, machte sie dort ihren Abschluß.
Im selben Jahr teilte Dot O’Hare ihrem Sohn Eddie in einem Brief mit, daß die Tochter seines ehemaligen Arbeitgebers ihren Abschluß an der Academy gemacht hatte – und mit ihr 46 Mädchen und 239 Jungen. Womöglich sei das Zahlenverhältnis noch unausgewogener, räumte sie ein, weil sie bestimmt etliche Jungen ihrer langen Haare wegen zu den Mädchen gezählt habe.
Es stimmt wirklich: Am Exeter-Jahrgang 1973 war deutlich zu erkennen, daß lange Haare für Jungen jetzt Mode waren; auch die Mädchen trugen das Haar lang, glatt und in der Mitte gescheitelt. Ruth war damals keine Ausnahme. Sie absolvierte das College mit langem, glattem, in der Mitte gescheiteltem Haar, bevor sie sich endlich von modischen Zwängen freimachte und es kurz schneiden ließ – so, wie sie es schon immer haben wollte (behauptete sie), und nicht nur, um ihrem Vater eins auszuwischen.
Als Eddie O’Hare im Sommer 1973 kurz zu Besuch bei seinen Eltern war, schenkte er dem Jahrbuch von Ruths Abschlußklasse nur flüchtige Beachtung. (Sein Vater hatte ihn dazu gedrängt, einen Blick hineinzuwerfen.)
»Ich glaube, das Aussehen hat sie von ihrer Mutter«, sagte Minty zu Eddie; dabei konnte er es gar nicht beurteilen. Er hatte Marion nie kennengelernt. Vielleicht hatte er damals, als ihre Söhne ums Leben kamen, in einer Zeitung oder Zeitschrift ein Foto von ihr gesehen, aber was er sagte, ließ Eddie trotzdem aufhorchen.
Als Eddie Ruths Porträtfoto aus dem Abschlußjahr sah, fand er, daß sie eher Ted ähnlich
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