Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
bis 1975). Man kennt ihn für seine hündische Ergebenheit, die er ausschließlich seinem Patron gegenüber zeigt. Denn unter den Beobachtern und überhaupt unter der progressiven russischen Öffentlichkeit hat sich die feste Überzeugung herausgebildet, dass es der Präsident persönlich war, der die Attacke gegen den frisch gebackenen Top-Oppositionellen genehmigt hatte.
Es ist durchaus möglich, dass diese Version stimmt. Putin ist ein Mensch mit einer zutiefst entwickelten Intuition. Er zieht eine intuitive Welterkenntnis der diskursiven (rationalen) vor. Dass Nawalny eine Gefahr darstellt, fühlte er sofort (wahrscheinlich irgendwann 2011). Es war eine diffuse Bedrohung, wie sie der große Meister Joda aus der Kultserie Star Wars in dem kleinen Anakin Skywalker erkannte, welcher sich im Laufe der Zeit in den Bösewicht Darth Vader verwandelte. Zuvor hatte er eine ähnliche Gefahr nur in Michail Chodorkowski erkannt, weswegen er ihn für dreizehn Jahre ins Gefängnis bracht (die dann zu elf Jahren wurden.)
Soweit wir diese durchdringende Lasertechnik verstehen und die geradezu weibliche Logik von Putin rekonstruieren können, erkannte das Staatsoberhaupt in dem jungen Mann:
• einen pathologischen Machthunger (den WWP selbst nie hatte oder hat, da ihm die Macht, wie wir bereits wissen, wie ein überreifer Apfel im Herbstgarten der russischen Geschichte auf den Kopf gefallen ist);
• eine absolutes, laborreines Fehlen einer Ideologie – derartige Oppositionelle bewaffnen sich zu einem konkreten Zeitpunkt stets mit den Ideen, die zur Überwindung einer weiteren Hürde auf dem Weg zur Macht nötig sind, da kann man Gift drauf nehmen;
• eine Soziopathie, das heißt ein Fehlen menschlicher Verbindlichkeiten. Für Nawalny gibt es weder Freunde noch Feinde, weder geliebte noch verhasste Menschen, die gesamte Menschheit besteht für ihn nur aus nützlichen und unnützen Menschen, und das auch nur in einem bestimmten Moment. Putin hingegen ist ein Produkt seiner menschlichen Verbindlichkeiten (dank deren sich seine ungezählten Freunde im heutigen Russland quietschfidel fühlen) und findet Soziopathen und Soziopathie verdächtig.
Vor allem ist Alexei Nawalny jung und bildschön (eine blonde Bestie, kein Südländer, es gibt nichts Asiatisches in seinem Äußeren, eine Seltenheit für das historische Russland, wo in jedem Russen ein kleiner Tatare, Jude oder Tschetschene steckt). Er hat alles, um die Macht in der entscheidenden Phase der Existenz Russlands zu ergreifen. Über Nawalny und das Geheimnis seines lokalen Erfolges werden wir im letzten Kapitel eingehender sprechen.
Außerdem ist womöglich das machtvolle Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, ernsthaft böse auf Herrn Nawalny. Der Oppositionelle hatte ihn auf unkorrekte Weise mit üblen Worten belegt. Nein, im einfachen europäischen Sinne des Wortes ist General Kadyrow nicht empfindlich. Wenn man ihn einen großen Schurken nennt, dann ist er sogar zufrieden. Aber nie und nimmer darf man davon sprechen, dass er sich von Bergtieren sexuell angezogen fühlt – so etwas kann dieser Mann tschetschenischer Prägung nicht verzeihen, seine ethnische Ethik erlaubt es ihm nicht.
In letzter Zeit kursieren Gerüchte, es habe 2012 sogar den Plan gegeben, Nawalny zu vernichten. Doch die Abrechnung wurde im letzten Moment vom Kreml aufgehalten, der wusste, dass ein solches Szenario einer politischen Katastrophe gleichgekommen wäre. Ich übernehme es nicht, die Glaubwürdigkeit dieser Gerüchte einzuschätzen. Man nehme sie nur zur Kenntnis. Schließlich ist es möglich, dass dieses Buch eine Fortsetzung findet.
Im Endeffekt verschaffte der Strafprozess gegen Nawalny beim Gericht der Stadt Kirow dem Oppositionellen einen neuen Aufschwung und brachte ihn direkt zu den Bürgermeisterwahlen nach Moskau. Es waren vorgezogene Wahlen, die auf Initiative des Stadthauptmanns Sergei Sobjanin für den Juni angesetzt wurden, um damit, wie es hieß, bei einer landesweiten Wiedereinführung direkter Wahlen den Machthaber in der Hauptstadt zu legitimieren, den Ex-Präsident Dmitri Medwedew 2010 zuvor im Alleingang festgelegt hatte.
Was für Putin und seine Opposition aus dieser Legitimierung folgte, darüber werden wir im nächsten Kapitel sprechen. Vorerst möchte ich nur sagen, dass Nawalny endgültig zum Idol aller protestierenden Schichten wurde, nachdem er nicht weniger als 27,24 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Das lag vor allem daran, dass er am 17. Juli in der
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