Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
nehmen.
Medwedew hatte ja eine Reform des Innenministeriums von Russland initiiert (auch wenn sie in vieler Hinsicht aus Pappe war). Mit dieser Reform wurde die Miliz in Polizei umbenannt, und man wechselte ungefähr zweihundert hochrangige Generäle innerhalb des Innenministeriums aus. Es war ebenfalls Medwedew, der den Begriff der »Modernisierung« aufbrachte, woran sich heute, in Putins dritter Amtszeit, fast niemand mehr erinnert. Außerdem ist ihm die Innovationsoase Skolkowo in der Nähe von Moskau zu verdanken (unter Medwedew sollte sie zum Blühen gebracht werden, doch nun stirbt sie, ohne wirklich existiert zu haben, und ist zum Objekt unzähliger Überprüfungen seitens der Staatsanwaltschaft und der Untersuchungsbehörden geworden). Nein, ich wage zu behaupten, dass die Rückkehr von Putin nicht vorgesehen war. Mehr noch: Ende 2010, Anfang 2011 wuchs in Medwedews Umgebung die Überzeugung, dass der Chef seinen Posten nicht frag- und klaglos räumen würde.
Dafür reicht es, ein einfaches, aber wichtiges Beispiel anzuführen. Der erste Stellvertreter des Leiters der Präsidentenadministration und langjährige Kurator der Innenpolitik des Kremls Wladislaw Surkow, der als exklusiver Kenner der Intrigen und Ränkespiele innerhalb des russischen Machtapparats bekannt ist, setzte Ende 2010 ganz eindeutig auf eine zweite Amtszeit von Medwedew und warf in dieser Hinsicht die innenpolitische Maschinerie an. Deswegen büßte er im Dezember 2011 auch sein Kreml-Amt ein, als der zurückkehrende Putin eine neue Administration zusammenstellte. Surkow wechselte in Putins neuer Mannschaft auf einen verhältnismäßig hohen Leitungsposten im Apparat, den er jedoch bereits im Mai 2013 verlor: Der Widerspruch zwischen ihm und der modernen Mannschaft von Putins Top-Bürokraten (Sergei Iwanow, Wjatscheslaw Wolodin) erwies sich als zu groß, als dass sie in einer »Machtvertikale« hätten zusammenarbeiten können.
Was hat Putin also zu seiner Rückkehr bewegt?
Ich neige zu der Ansicht, dass der »arabische Frühling« 2010, die Folge von Revolutionen in den Ländern von Nahost und Nordafrika, keine geringe Rolle gespielt hat. Wie auch bei den »Blumenrevolutionen« im postsowjetischen Raum 2003 bis 2005 glaubte unser Held nicht an eine Spontaneität der Prozesse oder daran, dass der aktive Teil der Bevölkerung damit auf seine autoritären Anführer reagierte, die ein System totaler Korruption im Staatsapparat zementiert hatten und ihre Posten nicht räumen wollten. Unser argwöhnischer WWP war erneut der Auffassung, dass der Westen mit den ihm loyalen Autokraten kurzen Prozess machen und ein lenkbares Chaos schaffen wollte.
Das ist eine Vorgehensweise, die von den USA und ihren Verbündeten in der Dritten Welt gern angewendet wird, um sich die exklusive Rolle moderierender Länder bei allen Konflikten zu sichern. Folglich wäre ein solches Szenario auch in Russland realisierbar gewesen. Und im Fall eines äußeren Eingreifens, das von einer »Fünften Kolonne« in Person aller Feinde und Kritiker des Putinismus unterstützt worden wäre, hätte der kraftlose Medwedew die Situation nicht im Griff gehabt. Russland drohte, zu einem zweiten Tunis oder Ägypten zu werden. In dieser Situation brauchte man einen erfahreneren Anführer, der fähig war, seinen Mann für sich und das Land zu stehen. Jemanden, der Erfahrungen mit schrecklichen Terroranschlägen wie Nord-Ost oder Beslan hat, der keine harten Maßnahmen scheut, wenn sie unbedingt notwendig sind. (Aber er darf mit ihnen auch keinen Missbrauch betreiben und grundlose Härte zeigen.)
Die politischen Kosten der Rochade können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Putin verkündete, auf den Präsidentenposten zurückkehren zu wollen, und erledigte damit seinen getreuen Dmitri Medwedew, der bis zum 24. September 2011 für viele russische Bildungsbürger eine Hoffnungsquelle gewesen war (wenn auch eine schwache). Damit hatte Wladimir Putin die Büchse der Pandora geöffnet und den Prozess einer sich ungestüm entwickelnden zweiten Perestroika in Gang gesetzt, analog zur Perestroika von Gorbatschow Ende der 1980er-Jahre. Um das Wesen dieses Prozesses verstehen zu können, sollte man sich daran erinnern, wie diese mittlerweile verhältnismäßig lang zurückliegende Perestroika aussah, die den Zerfall der UdSSR vollendete. Nein, es waren durchaus keine vom System realisierten liberalen Reformen, wie sich das viele ungeübte Beobachter vorstellen.
Michail Gorbatschow
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