Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
dem Präsidenten hervorgetan hatte, zu seinem Generalbevollmächtigten des Föderationskreises Ural.)
Das Land befindet sich mittlerweile in der Phase einer zweiten Perestroika, die wie die erste unter Michail Gorbatschow nach einer eigenen Führungsperson verlangt. Fünfundzwanzig Jahre lang war Boris Jelzin eine solche Führungsperson. Heute ist es Alexei Nawalny, der, wie sich herausstellte, fast alle an einen Tisch bringen kann – von den Ultranationalisten bis zu den ultraliberalen Kosmopoliten. Wie auch im Fall von Boris Jelzin gelingt ihm das, weil es ihm an einer wie auch immer gearteten Ideologie fehlt, wenn auch nicht nur deswegen.
Der Auslöser der Explosion dieser neuen Perestroika wurde der 24. September 2011. Es war der Tag der traurigen Rochade von Putin und Medwedew. Wäre sie nicht gewesen, hätten wir noch lange auf die Versammlung der Massen auf dem Bolotnajaplatz und auf dem Sacharowprospekt warten können, und die systemtreuen Liberalen würden uns bis heute etwas von dem »aussichtsreichen jungen Frontmann« Medwedew erzählen, der nur noch ein wenig Zeit braucht, um endgültig aus dem Schatten seines politischen, despotischen Vaters zu treten.
Nawalny ist das Symbol dieser Perestroika und ein Kind dieser Rochade.
Kapitel 21: Der späte Putin – Die zweite Perestroika und der Aufstand des Bildungsbürgertums
Die späte Putin-Ära begann am 24. September 2011. An diesem Sonntag wurde auf dem Kongress der regierenden Partei »Einiges Russland« (die eigentlich nur dem Kreml untergeordnet ist) die sogenannte Rochade verkündet: Dmitri Medwedew würde die nächste Präsidentschaftsperiode nicht antreten, sondern Ministerpräsident werden, und in den Kreml sollte Wladimir Putin persönlich zurückkehren.
Diese Nachricht rief bei dem aktiven Teil des russischen Volkes Enttäuschung hervor, die an eine unverhohlene Gereiztheit grenzte. Bis zur Verlautbarung der Rochade hatten viele geglaubt (oder glauben wollen), dass der »liberale« Medwedew Staatsoberhaupt bleibt und für die Dauer seiner zweiten sechsjährigen Amtszeit (2012 bis 2018) prinzipiell und qualitativ aus der politischen Abhängigkeit seines Patrons WWP tritt. Auch ich wollte das glauben. Nicht weil ich einen wie auch immer gearteten wesentlichen ideell-praktischen Unterschied zwischen Medwedew und Putin gesehen hätte, sondern vielmehr weil ich einen solchen Unterschied nicht sah.
Ich meinte, für das Regime sei es objektiv vorteilhafter, den Pseudoliberalen auf dem Thron zu lassen, um es einerseits den aktiven Russen und dem Westen recht zu machen und damit andererseits die Macht in den Händen der Putin-Jelzin-Elite bliebe. Mit meiner Überzeugung stand ich nicht allein. Meinen Standpunkt vertraten auch andere, die besser informiert sind als ich, zum Beispiel der damalige Vize-Premier der Regierung und Finanzminister Alexei Kudrin oder die Ikone der liberalen Reformen und Chef des Rosnano-Konzerns Anatoli Tschubais, der 2010 in einem Interview mit der Zeitung Sobessednik eine zweite Amtszeit von Medwedew geradezu prophezeit hatte.
Igor Jurgens, der informell einflussreiche Berater von Medwedew und Präsident des Instituts für moderne Entwicklung (INSOR), überredete in den Hinterzimmern des Internationalen Forums von Jaroslaw, das im September 2011, wenige Wochen (!) vor der Rochade stattfand, die Veranstaltungsteilnehmer mit ungefähr folgenden Worten: »Seht ihr etwa nicht, dass Präsident (Medwedew) schon beschlossen hat, für eine zweite Amtszeit zu bleiben?«
Im selben Jahr antwortete auch Ministerpräsident Wladimir Putin bei einem Staatsbesuch in Schweden auf die Frage nach dem nächsten Präsidenten Russlands: »Es gibt eine Entscheidung, sie wird Ihnen gefallen.« Wohl kaum hatte er damit die Rochade gemeint – denn der progressiven Öffentlichkeit sowohl in Russland als auch umso mehr im Westen konnte sie nicht gefallen.
Es gibt verschiedene Theorien, warum Putin sich dennoch entschloss, auf den Präsidentenposten zurückzukehren. Die einfachste und häufigste lautet, dass dieser Plan von Anfang an bestand und Medwedew nur eine Marionette war. Wie jeder einfache Gedanke scheint das sehr überzeugend. Aber erstens entspricht diese Theorie nicht ganz der Einstellung informierter und hochgestellter Personen, von denen weiter oben die Rede war. Und zweitens agierte Putins Nachfolger im höchsten staatlichen Amt in vielen Fragen durchaus selbstständig, ohne auf unseren (und seinen) Helden Rücksicht zu
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