Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
dessen Selbstkostenpreis um ein Vielfaches unter dem der Lieferungen von Gazprom liegt – an die 110 Dollar für 1.000 Kubikmeter –, lässt an den Perspektiven Russlands als strategischer Energielieferant für den Westen starke Zweifel aufkommen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich vom Importeur in einen selbstständigen Produzenten und Exporteur von Gas verwandelt, der in diesem Sinne das Interesse an dem fernen, erschlafften und in seinem politisch-wirtschaftlichen Verhalten nicht immer ganz angemessen agierenden Putin-Russland verloren hat. Und man muss schon der Oberste Geschäftsführer von Gazprom Alexei Miller sein, der 1991 bis 1996 Schlüsselwart von Wladimir Putins Privatsafe im Smolny war (dem Bürgermeisteramt von Sankt Petersburg), um das nicht zu verstehen.
Schlusseffekt der aktuellen Gazprom-Krise wurde die Einstellung der Erschließung des Stockmannfeldes in der Barentssee, der größten Lagerstätte in Europa, im Mai 2012. Zunächst hatte man den Beginn der Arbeiten auf 2018 verschieben wollen, und dann wurde alles gänzlich liquidiert. Der Grund für diesen verzweifelten Schritt liegt auf der Hand: Das Gas aus dem Stockmannfeld hatte man eigentlich in die USA liefern wollen, aber jetzt braucht man es dort nicht einmal mehr als Geschenk.
Unter Putin wurde keine einzige Erdgaslagerstätte nutzbar gemacht, mit Ausnahme des sogenannten Bovanenkowo-Gasfelds in Westsibirien. Aber mit dessen Erschließung hatte man bereits zu Zeiten von Boris Jelzin begonnen, als Gazprom von einer ganz anderen Mannschaft geleitet worden war, an deren Spitze der Gründer des russischen Gasmonopols gestanden hatte, der Ex-Ministerpräsident des Landes Viktor Tschernomyrdin.
Die 2005 angekündigten Pläne Putins, aus dem heutigen Russland eine »Energie-Supermacht« zu machen, die andere von Russlands Gas abhängig machen würde, sind gescheitert. Es ist kein Zufall, dass der Begriff »Energie-Supermacht«, den der Kreml und Gazprom Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts mit heraushängender Zunge und hervortretenden Augen allen antrugen, mittlerweile aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist.
Aber abgesehen von den genuinen russischen Kohlenwasserstoffen gibt es in der Oeconomia putina keine zuverlässigen Ressourcen. Schwierige technologische Systeme und Projekte sind hier nicht möglich, weil sich die aus Zeiten der UdSSR stammende technologische Haltbarkeit praktisch erschöpft hat. Ein charakteristisches Beispiel ist das Schicksal eines Projekts, das man 2006 und 2007 mit stolzgeschwellter Brust ausgiebig beworben hat: das Kurzstreckenflugzeug Suchoi Superjet 100.
Das Unternehmen, welches den Superjet herstellen sollte, wurde 2006 in Venedig gegründet, zusammen mit der italienischen Firma Alenia Aeronautica. Der recht exotische Ort für den Flugzeugbau wurde, wie mir scheint, deshalb gewählt, weil die russischen Flugzeugbauer neuster Ausprägung es sich in Venedig einfach gut gehen lassen wollten.
Ich bin ziemlich oft in Venedig und beobachte alles aus nächster Nähe. Die Konstrukteure des Superjets mieteten massenhaft Büros, Wohnungen und Paläste an. Ohne ihr technologisches Bewusstsein wiedererlangt zu haben, gingen sie mittags und abends in den besten Restaurants speisen. Mein venezianischer Freund Rossano, Flugzeugingenieur seit fünfunddreißig Jahren, hat mit den Konstrukteuren des SSJ-100 fast ein Jahr zusammengearbeitet und dann die Flucht ergriffen. Er sagte damals etwa Folgendes zu mir: »Diese Leute werden das Flugzeug nicht bauen. Das Flugzeug interessiert sie überhaupt nicht, es ist etwas ganz anderes, was sie interessiert.«
Rossanos Prognose erwies sich als richtig. Im Mai 2012 stürzte das Flugzeug bei einem Probeflug nach Indonesien wegen des Versagens der Navigation ab und zerschellte an einem Berg. Es kamen fünfundvierzig Menschen ums Leben. Nach diesem Vorfall erteilten die vorrangigen Käufer des unheilvollen Pseudoflugzeugs dem Projekt eine Absage: die Fluggesellschaft Alitalia (ihr ursprüngliches Interesse an dem Superjet gründete auf einer vertraulichen Vereinbarung zwischen Wladimir Putin und Silvio Berlusconi) und Armavia, die staatliche Fluggesellschaft von Armenien. Auch die russische staatliche Fluggesellschaft Aeroflot möchte nun von der fliegenden Bastelarbeit Abstand nehmen; die sie kontrollierende russische Regierung hatte ihr den Superjet geradezu aufgezwungen. Nach Angaben von Aeroflot entfallen 40 Prozent aller Störfälle bei den Flügen der
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