Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
sie in ihrem tiefsten Inneren immer Kameraden geblieben waren – auch wenn sie sich auf der Bühne der russischen Politik wie Erzfeinde dargestellt hatten.
Beresowski wurde mit Putin in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre durch Pjotr Awen bekannt gemacht, der damals Stellvertreter des Bürgermeisters von Sankt Petersburg (Anatoli Sobtschak) für Fragen der Außenbeziehungen gewesen war. Heute ist Awen Präsident der Alfa-Bank, und 1992 hatte er als Minister für Außenhandelsbeziehungen Russlands Putins Bemühungen hinsichtlich der föderalen Machtorgane betreut. Beresowski ist übrigens von Awen zu verschiedenen Zeiten sowohl mit Roman Abramowitsch und Walentin Jumaschew vernetzt worden, was in vielerlei Hinsicht den steilen Aufstieg und den langsamen, quälenden Fall des Oligarchen vorherbestimmte. Immer gern erzählte Beresowski die Geschichte von WWPs Zuverlässigkeit: Am 23. Januar 1999 hatte dieser sich nicht gescheut, den Unternehmer zu seinem Geburtstag aufzusuchen, auch wenn der Beresowski feindlich gestimmte Ministerpräsident Jewgeni Primakow, der in jenen Tagen bereits als Nachfolger von Boris Jelzin gehandelt wurde, derartige Schritte nicht begrüßen konnte. Und als unser Held im Januar 2000 zum diensttuenden Präsidenten des Landes wurde, fasste Beresowski das in vielerlei Hinsicht als seinen Sieg und sein Verdienst auf. Wie sich bald herausstellte, hatte er sich geirrt. Wie jedoch sein Tod zeigte, nicht zu 100 Prozent.
Der Konflikt zwischen Putin und Beresowski spitzte sich beim Untergang des Atom-U-Boots »Kursk« im September 2000 zu. Putin hatte seinen Urlaub in Sotschi nicht sofort unterbrochen, um zur Unglücksstelle zu eilen. Natürlich war das ein fataler politischer Fehler – ein Staatsoberhaupt ist verpflichtet, sich am Ort der größten Katastrophe seines Landes zu befinden. Sein Verhalten war unverzeihlich, aber wir sollten nicht vergessen, dass WWP Präsident geworden war, ohne dass er sich zuvor je einmal als Politiker in der Öffentlichkeit bewegt hatte. Ganz banal fürchtete er sich, vor den Kameraaugen zu Fragen über die Tragödie Rede und Antwort zu stehen. Er hatte Angst vor dem Umgang mit den erzürnten Seemannswitwen – nicht ohne Grund, wie sich herausstellte. Beresowski jedoch gab sich mit derlei Nuancen nicht ab, und außerdem ärgerte ihn die Reform des Föderationsrats (der höchsten Kammer des russischen Parlaments), die man ohne Rücksprache mit ihm, dem damals großen Oligarchen, im Mai 2000 initiiert hatte. Der von Beresowski persönlich kontrollierte Fernsehsender ORT (heute – Erster Kanal des Russischen Fernsehens) ließ seinen ganzen verbitterten Zorn an Putin aus. Die Nachrichtensendungen des Kanals sowie die analytische Sendung von Sergei Dorenko mit den höchsten Einschaltquoten äußerten sich gegenüber dem Präsidenten alles andere als freundlich. Besonders bemerkte Dorenko die Patek-Philippe-Uhr des Präsidenten im Wert von 50 000 Dollar, die ausgerechnet die linke Hand des neugewählten Staatsoberhaupts zierte.
Putin wertete Beresowskis Verhalten als Verrat, der sich für ein Mitglied eines vereinten Machtkommandos nicht ziemt. Alle direkten Interessenvertreter des Oligarchen bei ORT – zunächst die Leiter für Informationssendungen Tatjana Koschkarjowa und Sergei Narsikulow und dann Sergei Dorenko – wurden entlassen. Danach empfing der Präsident seinen ehemaligen Freund im Kreml und teilte ihm mit, dass der Erste Kanal nun wieder der direkten Aufsicht des Staates unterstellt sei, also seiner eigenen, der von Wladimir Putin. »Leben Sie wohl, Boris Beresowski« waren die letzten Worte des Präsidenten, die aus dem Freund einen Feind machten.
Dennoch wurde mit Beresowski als jemandem, der einen erheblichen Beitrag zu Operation »Nachfolger« geleistet hatte, durchaus menschlich umgegangen und auch nicht ohne den für Putin charakteristischen Edelmut. Man nahm ihm sein Eigentum auf russischem Territorium nicht weg, sondern kaufte es für viel Geld. 1,3 Milliarden Dollar erhielt er für seinen Anteil an Sibneft, 250 Millionen Dollar für den an Aeroflot, 170 Millionen Dollar für ein absolut illiquides Minderheitenpaket (49 Prozent) der Aktien am Fernsehsender ORT, der ohne staatlichen Willen und Zustimmung absolut keinen Wert besaß. Es waren also insgesamt an die 1,7 Milliarden Dollar – nicht schlecht, besonders für die Jahre zwischen 2000 und 2002, als die Preise und Größenordnungen noch ein wenig anders waren als heute. Putin hatte
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