Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
sein staatliches Gehalt zu helfen), ganz beiläufig die Visitenkarte eines bestimmten, guten Antiquitätengeschäfts. Dieses gehört völlig zufällig einem, sagen wir, anderen guten Freund von Wladimir Putin – dem Petersburger Geschäftsmann Ilja Traber, genannt »der Antiquar«. Sie gehen dorthin und kaufen einen einzigartigen Tisch aus der Zeit der Zarin Katharina der Großen zum Katalogpreis von 1 Million Dollar. Wenn Sie allerdings zu Hause ankommen, stellen Sie fest, dass der Zarentisch eine Furnierschulbank aus sowjetischen Zeiten ist. Aber Sie machen sich nichts daraus. Denn nun ist es Ihnen beschieden, vom Bürgermeisteramt der Stadt St. Petersburg eine Erlaubnis zu bekommen, die ihnen ungleich viel mehr Einkünfte beschert, als Sie für die Schulbank ausgegeben haben.
Derartig schöne Vorgehensweisen gibt es also, um die sich der Überlieferung nach so manche Geheimnisse Putins, Setschins und ihresgleichen ranken. Deswegen sind diese Beamten nicht im Höllenfeuer der 1990er-Jahre umgekommen, sondern haben sich heute aus dem provinziellen Halbdasein zu nationalen Höhen aufgeschwungen.
Jetzt Rosneft. 2006 und 2007 schluckte diese einst unscheinbare und zweitrangige Ölfirma das ehemalige Imperium von Michail Chodorkowski und wurde zum größten Kohlenwasserstoffhersteller im Land. Die Operation selbst wurde allerdings technisch nicht sonderlich versiert ausgeführt. Sie geschah unter Hinzuziehung des nominellen Käufers Baikalfinansgrup, der die größte erdölfördernde Struktur von JUKOS, die offene Aktiengesellschaft Juganskneftegas, übernahm. Die Baikalfinansgrup war ein fiktives Unternehmen mit einem Stammkapital von 10 000 Rubeln (250 Euro), das sich kurz vor dem Deal in der kleinen Stadt Twer nordwestlich von Moskau registrieren ließ, in einem windschiefen Haus, in dem Journalisten nur eine Wodkakneipe mit dem charakteristischen, aussagekräftigen Namen »London« ausfindig machen konnte. Aber es gab ein Ergebnis – es war vollbracht.
2011 kaufte Rosneft der Alfa Group (Eigentümer: Michail Fridman) und der British Petroleum ihre gemeinsame Ölfirma TNK-BP ab. Für 60 Milliarden Dollar. Das war eine Operation, für die sich der Autor den Terminus »puting« ausgedacht hat – wenn der Verkäufer an dem Geschäftsabschluss mehr interessiert ist als der Käufer. Denn er wird seine Aktiva zu Bedingungen los, die der offene Markt nicht zu bieten hat. An die ersten und aufsehenerregendsten Abschlüsse dieser Art erinnern wir uns noch.
Es war das kleine Unternehmen Sewernaja Neft, das dem ehemaligen Ersten Stellvertreter des Finanzministers Andrei Wawilow gehörte und Anfang 2003 für 400 Millionen Dollar von Rosneft gekauft wurde. (Die Kritik an diesem Abschluss kam, wie wir wissen, Michail Chodorkowski teuer zu stehen.) Und es war der Erwerb von Sibneft beim Offshore-Unternehmen Milhouse für 13,1 Milliarden Dollar (Letzteres vertritt bis heute die Interessen von Roman Abramowitsch) durch Strukturen von Gazprom im Jahr 2005. Der Deal von Rosneft mit den Ex-Besitzern von TNK-BP ist also keine Ausnahme.
Dennoch erlangte Rosneft schließlich die unumstrittene Spitzenposition in Russland bei der Förderung von Erdöl (2,6 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2012) und bei der Anhäufung von Kapital (150 Milliarden Dollar). Sollten die Pläne für den Erwerb von Surgutneftegas und LUKOIL realisiert werden, mit denen sich die Mannschaft um Setschin trägt, dann wird daraus schließlich die größte Erdölfirma der Welt entstehen.
Auch wenn aus Wladimir Putin kein Politiker wurde, wie es seine KGB-Prägung erwarten ließe, hat er doch über viele Jahre gelernt, in den Kategorien großer Geschäfte zu denken. Hier geht es nicht mehr um einen Furniertisch für 1 Million Dollar. Der Einsatz liegt nun dreimal so hoch.
Doch letztlich sind nicht die absoluten Zahlen der Beteiligung des langjährigen russischen Staatsoberhaupts an den Kapitalerträgen des einen oder anderen Unternehmens wichtig. Wichtig ist in erster Linie das Format des Putin’schen Denkens selbst, die Frage, wie sein Gehirn funktioniert. Wer würde das strategische Verhältnis zur Ukraine und Belarus für den Gaspreis und die Kapitalisierung von Gazprom für alle Zeiten aufs Spiel setzen? Er hat es getan. Wer würde zulassen, dass die noch gestern brüderliche Ukraine durch den Mund des Moskau scheinbar freundschaftlich gesinnten (und es eigentlich abgrundtief hassenden) Präsidenten Viktor Janukowitsch das Projekt der Gaspipeline White
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