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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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seinem Blick verriet etwas von seinen Gefühlen. Mit einer energischen Geste schlug Susan die Plane hoch, und Juan half ihr, die Heckklappe zu öffnen. Jetzt kam die Kleine zum Vorschein, die sie ins Dorf zurückbrachten. Das Kind hatte nur noch ein Bein, doch sie breitete beide Arme aus, um den Mann zu begrüßen, der ihr das Leben gerettet hatte. Rolando stieg auf die Ladefläche und hob das Mädchen hoch. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, was ein Lächeln auf ihr Gesicht zauberte. Als er wieder heruntergeklettert war, setzte er sie am Boden ab und kniete vor ihr nieder, damit sie sich auf seine Schulter stützen konnte. Es folgten mehrere Sekunden der Stille, dann warfen die Männer ihre Hüte in die Luft und stießen gedehnte Schreie aus, die in höchste Höhen aufstiegen. Susan blickte scheu zu Boden, damit niemand sie beobachten konnte in diesem Moment, in dem sie besonders dünnhäutig war. Juan ergriff ihre Hand. »Lass mich«, sagte sie. Er drückte sie noch fester. »Danke im Namen aller.« Rolando vertraute das Kind einer Frau an und trat auf Susan zu. Er streckte die Hand aus, hob ihr Kinn und fragte Juan mit fester Stimme: »Wie heißt sie?»
    Juan musterte den stattlichen Mann und wartete einen Augenblick, bevor er antwortete: »Unten im Tal wird sie Senora Blanca genannt.« Rolando wandte sich an sie und legte seine schweren Hände auf ihre Schultern. Tiefe Falten in seinen Augenwinkeln zogen sich zusammen, und sein Mund öffnete sich zu einem großen, zahnlückigen Lächeln.
    »Dona Blanca!«, rief er aus. »So wird Rolando Alvarez sie nennen.« Der Bauer zog Juan auf den steinigen Weg, der zum Dorf führte; heute Abend würden sie guajo trinken.
    Die ersten Januartage 1976 folgten auf den zweiten Jahreswechsel, den sie getrennt voneinander verbracht hatten. Susan hatte während der Festtage ununterbrochen gearbeitet. Philip, der sich einsamer denn je fühlte, schrieb zwischen Thanksgiving und Neujahr fünf Briefe, von denen er keinen abschickte.
    In der Nacht zum vierten Februar wurde Guatemala von einem heftigen Erdbeben erschüttert, bei dem fünfundzwanzigtausend Menschen ums Leben kamen. Susan tat ihr Möglichstes, um zu helfen, doch das Räderwerk der Bürokratie wollte sich nicht in die richtige Richtung drehen, und damit musste sie sich abfinden. Am vierundzwanzigsten März wurde das peronistische Regime in Argentinien gestürzt, und General Jorge Rafael Videla ließ Isabel Peron festnehmen; so schwand eine weitere Hoffnung in diesem Teil der Welt. In Hollywood fiel ein Oscar aus einem Kuckucksnest auf die Schultern von Jack Nicholson. Am vierten Juli feierte ein jubelndes Nordamerika seine zweihundert Jahre der Unabhängigkeit. Wenige Tage später landete Hunderttausende von Kilometern entfernt ein «Viking« auf dem Mars und schickte die ersten Bilder vom Roten Planeten zu uns auf die Erde. Am achtundzwanzigsten Juli ereignete sich ein weiteres Erdbeben, das über acht Grad auf der Richterskala erreichte. Um Punkt drei Uhr fünfundvierzig in der Nacht wurde Tangshan dem Erdboden gleichgemacht, eine chinesische Stadt, in der eine Million sechshunderttausend Menschen gelebt hatten. In jener Nacht wurden vierzigtausend Bergarbeiter in einer Mine südlich von Peking verschüttet. In den Ruinen der Riesenstadt kampierten bei sintflutartigem Regen vorübergehend sechs Millionen Einwohner. China trauerte um siebenhundertfünfzigtausend Menschen. Morgen würde Susans Flugzeug in Newark landen.
    Er verließ die Agentur früher als gewöhnlich. Unterwegs hielt er ein erstes Mal an, um rote Rosen und weiße Lilien, Susans Lieblingsblumen, zu kaufen. Sein zweiter Stopp galt dem kleinen Supermarkt an der nächsten Straßenecke. Er kaufte eine Stofftischdecke, die Zutaten für ein schönes Abendessen, sechs kleine Coca-ColaFlaschen, weil sie die großen nicht mochte, und mehrere Tütchen mit Leckereien, darunter Bonbons mit Erdbeergeschmack, von denen sie nicht genug bekommen konnte. Die Arme schwer beladen, stieg er die Treppenstufen hinauf. Er schob seinen Schreibtisch in die Mitte des Wohnzimmers, legte die Tischdecke auf, deckte den Tisch und vergewisserte sich mehrmals, dass Teller, Besteck und Gläser perfekt angeordnet waren. Die Tütchen mit den Süßigkeiten leerte er in eine Frühstücks-schale und stellte sie auf die Fensterbank. Danach schnitt er die Blumen an und verteilte sie kunstvoll auf zwei Vasen. Der Rosenstrauß fand seinen Platz im Schlafzimmer auf dem rechten Nachttisch. Dann bezog er

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