Wo bist du
dir?«
»Ist doch jetzt egal, lass mich dich ansehen.«
Sie hat sich verändert - kaum wahrnehmbar vielleicht für die Augen der anderen, wohl aber für seine. Ihr Gesicht ist hohlwangig geworden, und in ihrem Lächeln liegt etwas Trauriges, das er wahrnimmt, ohne es entschlüsseln zu können. Als wenn jede Tragödie, deren sie Zeuge geworden war, sich in ihr Fleisch eingegraben und die Konturen einer Wunde hineingezeichnet hätte. »Was siehst du mich so an, Philip?« »Weil du mich beeindruckst.«
Susans Lachen erfüllt die ganze Bar, zwei Gäste drehen sich nach ihr um. Sie presst die Hand an den Mund.
»Oh, Pardon!«
»Du brauchst dich wirklich nicht entschuldigen ... Du bist so hübsch, wenn du lachst. Hattest du dort auch gelegentlich etwas zum Lachen?«
»Weißt du, das Unglaubliche ist, dass dieses 'dort ' am Ende der Welt zu sein scheint und doch ganz in der Nähe ist. Aber erzähl mir von dir, von New York.«
Er ist froh, in Manhattan zu leben. Er hat eine erste Arbeit in einer Werbeagentur erhalten, für die er ein Storyboard entwerfen soll. Seine Zeichnungen sind gut angekommen, und er arbeitet bereits an einem anderen Projekt. Das bringt zwar nicht besonders viel Geld, doch es ist etwas Konkretes. Als sie ihn fragt, ob er mit seinem Leben zufrieden sei, antwortet er mit einem Schulterzucken. Er will wissen, ob ihre Erfahrung in ihrem Sinne gewesen sei, ob sie gefunden habe, was sie sucht. Sie umgeht die Antwort, indem sie ihn weiter ausfragt. Sie will hören, was seine Eltern machen. Sie wollen das Haus in Montclair verkaufen und sich an der Westküste niederlassen. Philip hat sie außer an Thanksgiving das ganze Jahr kaum gesehen. Wieder in seinem Zimmer zu schlafen ist für ihn mit einem unangenehmen Gefühl verbunden gewesen, er spürt, wie er Distanz zu ihnen bekommt, und sieht sie älter werden, als hätte die Entfernung den Lauf der Zeit unterbrochen und das Leben in eine Folge von Bildern zerschnitten, auf denen die Gesichter sich auf dem vergilbten Papier von einem Abzug zum nächsten verändern.
»Wenn man an der Seite von Menschen lebt, merkt man nicht wirklich, dass sie sich verändern, und so verliert man sie am Ende.« »Habe ich dir doch immer gesagt, mein Lieber, es ist gefährlich, zu zweit zu leben«, erklärt sie. »Findest du, dass ich zugenommen habe?«
»Nein, im Gegenteil, warum?« »Wegen dem, was du eben gesagt hast. Findest du, dass ich mich verändert habe?«
»Du siehst müde aus, Susan, das ist alles.«
»Ich habe mich also verändert!«
»Seit wann machst du dir etwas aus deinem Äußeren?«
»Jedes Mal, wenn ich dich sehe, natürlich.«
Sie betrachtet die Mandelsplitter, die am Boden des Eisbechers in der Schokolade versinken.
»Ich hatte Lust auf was Warmes!«
»Was ist los mit dir, Susan?«
»Ich muss heute Morgen vergessen haben, meine Lachpillen zu nehmen!«
Sie hat ihn verärgert. Sie bedauert ihre launische Reaktion, doch sie ist davon ausgegangen, dass sie sich dank ihrer Vertrautheit alles erlauben dürfe.
»Du könntest dir wenigstens etwas Mühe geben!«
»Wovon redest du überhaupt?«
»Du könntest mir das Gefühl geben, dass du dich freust, mich zu sehen.«
Sie streicht ihm über die Wange.
»Du Dummkopf, natürlich freue ich mich, das hat nichts mit dir zu tun.«
»Womit dann?«
»Es ist schwer für mich, in mein Heimatland zurückzukommen. Alles scheint mir so weit von dem Leben entfernt, das ich führe. Hier gibt es alles, hier mangelt es an nichts, und dort fehlt es an allem.«
»Das gebrochene Bein deiner Nachbarin nimmt nichts vom Schmerz deines verstauchten Knöchels ab. Wenn es dir nicht mehr gelingt, die Dinge zu relativieren, dann versuch, ein bisschen egoistischer zu sein; das macht einen besseren Menschen aus dir.«
»Wow, du wirst ja noch zum Philosophen.«
Philip steht unvermittelt auf und geht zur Tür. Er tritt auf den Flur, kehrt sofort wieder um, kommt raschen Schrittes zurück. Er beugt sich über sie und küsst ihren Hals. »Hallo, schön dich zu sehen.« »Darf ich wissen, was für ein Spielchen du da spielst?«
»Das ist kein Spiel! Seit zwei Jahren warte ich auf dich. Ich habe schon Hornhaut an den Fingern vom vielen Schreiben, weil es das einzige Mittel ist, ein wenig an deinem Leben teilzuhaben. Und weil unser Wiedersehen anders verläuft, als ich es mir vorgestellt hatte, möchte ich am liebsten ganz von vorn anfangen.«
Sie mustert ihn einen Augenblick und bricht wieder in Lachen aus. »Du bist immer noch
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