Wo bist du
größer war als das, an dem ihr Kopf jetzt lehnte.
Um sechzehn Uhr saß er wieder auf einem Barhocker, trocknete Gläser ab und lauschte dem Barmann, der den einsilbigen Kollegen vom Morgen abgelöst hatte und ihm Episoden aus seinem bewegten Leben erzählte. Bezaubert durch seinen spanischen Akzent, hatte er ihn mehrfach nach seiner Herkunft gefragt, und der Mann musste mehrmals wiederholen, dass er aus Mexiko kam und nie in Honduras gewesen sei. Um siebzehn Uhr füllte sich die Bar erneut, und Philip kehrte an seinen Platz zurück. Alle Tische waren besetzt, als die alte, gebeugte Dame, der niemand Beachtung schenkte, eintrat. Er starrte vor sich auf den Zeichenblock, um ihrem Blick nicht begegnen zu müssen, gleich darauf aber stellte sich sein schlechtes Gewissen ein. Nachdem er seine Sachen auf dem Tisch verteilt und den Stuhl dagegengekippt hatte, erhob er sich, um die Frau, die an der Theke stand und sich kaum mehr aufrecht halten konnte, zu holen. Die alte Dame bedankte sich herzlich, folgte ihm zum Tisch und nahm schwerfällig auf dem ihr angebotenen Stuhl Platz.
Er holte ihr Getränk von der Theke und bestand ängstlich darauf, dass sie ihm seinen Stuhl freihielt. In der folgenden Viertelstunde versuchte sie, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Beim zweiten Versuch forderte er sie höflich, aber bestimmt auf, ihren Kaffee zu trinken. Dreißig endlose Minuten vergingen, bis sie endlich aufstand. Sie verabschiedete sich, und er sah sie ihren beschwerlichen Weg zum Ausgang antreten.
Das dumpfe Dröhnen der Motoren riss ihn aus seinen Gedanken. Fast hätte er den Kopf eingezogen, als die DC3 dicht über das Dach des Terminals hinwegflog. Der Pilot legte eine Rechtskurve ein und lenkte die DC3 zunächst ein Stück parallel zur Piste. In der Ferne legte sich die Maschine erneut auf die Seite, diesmal im rechten Winkel zum Gelände, und flog dann direkt auf die Landebahn zu. Das schwere Hauptfahrwerk wurde ausgefahren, die Vorderlichter an den Tragflächen begannen zu blinken. Kurz darauf, als das Heckfahrwerk den Boden berührte, kippte die große runde Nase des Flugzeugs leicht nach oben. Die Blätter der Propeller wurden nach und nach sichtbar. Auf Höhe des Terminals schwenkte die DC3 herum und steuerte auf ihren Abstellplatz direkt unter der Bar zu. Susans Maschine war gelandet. Philip bedeutete dem Barmann mit einem Handzeichen, den Tisch abzuwischen, und reihte dann Salz-, Pfeffer- und Zuckerstreuer zu einer penibel geraden Linie auf. Als die ersten Passagiere die Gangway herunterkamen, fürchtete er schon, sein Instinkt hätte ihn getrogen.
Sie trägt ein Herrenhemd über ihrer verwaschenen Jeans. Sie hat abgenommen, scheint aber bestens in Form, und ihre hervortretenden Wangenknochen scheinen sich ein ganzes Stück zu heben, als sie ihn oben am Fenster sitzen sieht. Es kostet ihn eine fast übermenschliche Anstrengung, sich ihrem Willen zu beugen und am Tisch zu bleiben. Sobald sie den Terminal betreten hat und aus seinem Blickfeld verschwunden ist, dreht er sich um und bestellt zwei Kugeln Vanilleeis, mit heißer Schokolade überzogen und mit Mandelsplittern bestreut, das Ganze mit flüssigem Karamell übergossen.
Wenige Augenblicke später drückt sie die Nase an dem Bullauge platt und schneidet eine Grimasse. Er erhebt sich, als sie in der Tür der Bar erscheint. Sie nimmt lächelnd zur Kenntnis, dass er am selben Tisch sitzt. In einem Leben, in dem es nur noch wenige Orientierungspunkte gibt, hat dieses vertraute Eckchen in dem Flughafen eine ungeheure Bedeutung bekommen. Das hat sie sich eingestanden, als sie aus dem kleinen Postflugzeug gestiegen ist, das sie von Puerto Cortes nach Tegucigalpa gebracht hat.
Als sie die Pendeltür aufstößt, muss er sich zwingen, ihr nicht entgegenzustürzen; er weiß, sie hätte es nicht gemocht. Jetzt geht sie absichtlich ganz langsam. An der dritten Tischreihe lässt sie ihren grünen Seesack fallen, läuft auf ihn zu und sinkt ihm endlich in die Arme. Die Stirn an seiner Schulter, atmet sie seinen Geruch tief ein. Er nimmt ihren Kopf in beide Hände, um sie anzusehen. So stehen sie einen Augenblick schweigend da. Der Kellner hinter ihnen hüstelt und fragt Philip: »Möchten Sie vielleicht ein Sahnehäubchen darauf?« Schließlich setzen sie sich. Sie begutachtet den Eisbecher, steckt den Zeigefinger hinein und leckt den Karamell ab.
»Du hast mir schrecklich gefehlt!«, sagt er.
»Du mir nicht!«, erwidert sie spöttisch. »Sag, wie geht's
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