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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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das Bett neu. Er stellte einen zweiten Zahnputzbecher in das Regal seines winzigen Badezimmers, das er vorher - Armaturen, Dusche und Waschbecken - gründlich geputzt hatte. Die Nacht war schon weit fortgeschritten, als er die Örtlichkeiten, »um alles zu überprüfen«, noch mehrmals abschritt. Weil ihm plötzlich seine Arrangements ein wenig zu perfekt vorkamen, überlegte er, wie er die Gegenstände so anordnen könnte, dass wieder mehr Leben in die Wohnung kam. Nachdem er - um nicht zu krümeln - über den Papierkorb gebeugt Chips aus der Tüte gegessen hatte, wusch er sich am Spülbecken in der Küche und legte sich dann aufs Sofa. Zunächst konnte er nicht einschlafen, später wachte er stündlich auf. Bei Tagesanbruch zog er sich an und nahm den Bus zum Flughafen von Newark.
    Es war neun Uhr am Morgen, das Flugzeug aus Miami würde in zwei Stunden landen. In der Hoffnung, dass sie diese erste Maschine genommen hatte, traf er schon früh ein und »reservierte« ihren Tisch, indem er den Stuhl dagegenkippte. Dann setzte er sich, um seine Ungeduld zu bekämpfen, an die Theke und versuchte, den Barkeeper in ein Gespräch zu verwickeln. Der zählte jedoch nicht zu denjenigen in schwarzer oder weißer Livree, die in großen Hotelbars angestellt und es gewöhnt sind, den Vertraulichkeiten der Gäste zu lauschen; vielmehr hörte er Philip nur mit halbem Ohr zu. Zwischen zehn und elf Uhr hatte Philip hundert Mal daran gedacht, an der Ausgangstür auf sie zu warten, doch das Wiedersehen war hier an diesem Tisch vereinbart worden. Das war wieder mal ein typisches Beispiel für Susans Widersprüchlichkeit: Sie verabscheute pathetische Situationen, schwärmte aber für Symbolik: Als die Super Continental der Eastern Airlines das Gelände überflog, begann Philips Herz heftig zu schlagen, und sein Mund wurde ganz trocken. Doch als die Maschine zum Stillstand kam, wusste er, dass sie nicht drinnen war. An die Fensterscheibe gelehnt, konnte er beobachten, wie die Fahrgäste ausstiegen und der gelben Linie am Boden zum Terminal folgten. Sicher würde sie mit der Nachmittagsmaschine kommen, »das war logischer«. Um sich während der langen Wartezeit zu zerstreuen, begann er zu zeichnen. Eine Stunde verging; nachdem er auf großen linierten Blättern die sieben Gäste skizziert hatte, die eingetreten und wieder gegangen waren, klappte er seinen Spiralblock zu, trat an die Theke und fragte den Barmann:
    »Sie werden das vielleicht komisch finden, aber ich erwarte jemanden, der heute Morgen von Miami starten sollte, und die nächste Maschine trifft erst um neunzehn Uhr ein. Ich habe also noch gut sechs Stunden totzuschlagen, und ich glaube, ich habe keine Patronen mehr.«
    Der Mann sah ihn fragend an und trocknete weiter eine Gläser ab, um sie hinter sich ins Regal zu stellen. Philip fuhr in seinem Monolog fort: »Wie lang sich eine Stunde hinziehen kann! An manchen Tagen vergeht die Zeit so schnell, dass man zu gar nichts kommt, an anderen
    - wie etwa heute - sieht man unentwegt auf die Uhr und meint, sie müsse stehen geblieben sein. Könnte ich Ihnen vielleicht beim Geschirrtrocknen behilflich sein oder, ich weiß nicht, die Bestellungen aufnehmen, nur damit mir die Zeit schneller vergeht? Ich habe das Gefühl, ich drehe mich im Kreis!«
    Der Barmann hatte eben das letzte Glas eingeräumt. Er ließ den Blick durch den leeren Raum schweifen, fragte ihn, was er trinken wolle, und schob ihm ein Buch, einen Bestseller, hin, den er unter der Theke hervorgezogen hatte. Philip las den Titel: Will you please be quiet ... please! Er dankte dem Kellner und nahm seinen Platz wieder ein. Um die Mittagszeit füllte sich das Lokal, und er zwang sich, etwas zu essen, allerdings mehr, um den Barmann zufrieden zu stellen als seinen Magen, der nichts verlangte. Er knabberte an seinem ClubSandwich und las in den Novellen von Raymond Chandler. Als ihm die Kellnerin, die eben ihren Dienst angetreten hatte, den x-ten Kaffee einschenkte, bestellte er ein Stück Schokoladenkuchen, das er nicht anrührte. Und er war noch immer bei seiner ersten Geschichte. Um fünfzehn Uhr merkte er, dass er seit zehn Minuten dieselbe Seite, um fünf-zehn Uhr dreißig sogar dieselbe Zeile las. Er schlug das Buch zu und seufzte.
    In der Boeing, die in Miami startete, um nach Newark zu fliegen, zählte Susan mit geschlossenen Augen die orangefarbenen Hängelampen über der Bar, rief sich die lackierten Dielen in Erinnerung und die Tür mit dem Bullauge, das viel

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