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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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so lustig?«
    »Philip sitzt bestimmt vor dem Fernseher.«
    »Sie denken an ihn?«
    »Vergiss, was ich dir gesagt habe. Meinst du, wir bekommen ein Heldenbegräbnis, wenn wir dran glauben müssen?«
    »Ist das wichtig für Sie?«
    »Ich weiß nicht.« Sie zögerte einen Augenblick. »Vielleicht.« Sie dachte erneut nach. »Nein, eigentlich doch nicht. Es ist nur so, dass man, wenn man schon keine schöne Hochzeit gehabt hat, wenigstens gern mit einer schönen Beerdigung rechnen möchte.«
    Sie mussten versuchen, sich noch ein paar Meter hinaufzukämpfen. Denn obwohl es nicht mehr so stark regnete, konnte der Boden unter ihren Füßen jeden Augenblick nachgeben und sie in den Abgrund reißen. Juan flehte Susan an, sich zu einer letzten Kraftanstrengung durchzuringen, und wollte den gefährlichen Aufstieg beginnen. Sie schrie, um ihn zurückzurufen: Ihr Bein war eingeklemmt. Vorsichtig, doch ohne sie loszulassen, hangelte er sich ein Stück herunter und befreite ihren Fuß, der sich in irgendwas, das er in der Dunkelheit nicht identifizieren konnte, verfangen hatte. Nach einer erschöpfenden Kletterpartie erreichten sie endlich den Rand der oberen Serpentine. Sie überquerten die Fahrbahn und lehnten sich beide an die Steilwand. Das unberechenbare, majestätische Gewitter änderte seine Richtung und steuerte auf den hundert Kilometer entfernten Monte Ignacio zu. Sein Gefolge, die sintflutartigen Schauer, zogen in gebührendem Abstand hinter ihm her.
    »Es tut mir Leid«, sagte Juan.
    »Was denn?«
    »Ich werde Sie um Ihre schöne Begräbnisfeier bringen. Wir sind gerettet!«
    »Keine Sorge, nicht so schlimm, ich habe zwei oder drei Freundinnen, die mit dreißig Jahren auch noch nicht verheiratet sein werden. Also kann ich ruhig noch ein paar Jährchen mit meiner Beerdigung warten, ohne deshalb als alte Jungfer zu gelten!«
    Juan fand keinen besonderen Gefallen an Susans Art von Humor; er richtete sich auf, um das Gespräch zu beenden. Es dämmerte noch nicht, und sie würden noch warten müssen, bis sie sich auf den Weg zum Dorf machen konnten. Jeder Schritt in der Dunkelheit wäre zu gefährlich. Sie waren beide bis auf die Haut durchnässt, und Susan begann zu zittern und mit den Zähnen zu klappern - nicht nur vor Kälte, schließlich war sie soeben dem Tod von der Schippe gesprungen. Juan begann energisch, sie trockenzureiben.
    Ihre Blicke begegneten sich. Sie drehte das Gesicht zur Seite. Zähneklappernd sagte sie:
    »Du bist ein hübscher Junge, Juan, aber du bist noch etwas zu jung, um meine Brüste zu betatschen; vielleicht siehst du das anders, ich kann's ja verstehen, aber aus meiner Sicht musst du damit noch ein paar Jahre warten.«
    An der Art, wie er die Augen zusammenkniff, war zu erkennen, dass er ihren ironischen Tonfall nicht ertrug. Wäre sie sich nicht der legendären Ruhe ihres Weggefährten bewusst gewesen, sie hätte gefürchtet, er würde sie ohrfeigen. Juan tat nichts dergleichen, er entfernte sich und verschwand im Dunkeln. Sie rief ihm nach in der Nacht, die nicht enden wollte:
    »Juan, ich wollte dich nicht verletzen!«
    Um ihre Flügel zu trocknen, hatten ein paar Grillen mit ihrem monotonen Zirpen begonnen.
    »Juan, bitte sei mir nicht böse. Komm zurück, damit wir reden können.«
    Bald würde es dämmern. Susan setzte sich unter einen Baum und lehnte sich an den Stamm, um das Morgengrauen abzuwarten. Sie war eingeschlafen. Als der Mann sie an den Schultern schüttelte, dachte sie zuerst, es sei Juan. Der campesino aber, der vor ihr kniete, hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihm. Er lächelte. Sein Gesicht war zerfurcht von Wind und Wetter, die sein Leben geprägt hatten. Benommen betrachtete sie die verwüstete Landschaft. Unter ihr am Hang erkannte sie den Baumstumpf, der ihnen Halt geboten hatte, und etwas weiter entfernt den Erdvorsprung, auf den sie sich geflüchtet hatten, und schließlich, am Grund der Schlucht, den Kühlergrill des halb im Schlamm versunkenen Dodge.
    »Hast du Juan gesehen?«, fragte sie mit schwacher Stimme. »Wir haben den Jungen noch nicht gefunden, aber wir haben uns zu zweit auf die Suche nach Ihnen gemacht.«
    Sie hatten den Lastwagen gehört. Rolando war sicher, die Lichtkegel der Scheinwerfer gesehen zu haben, als der Dodge rückwärts in den Abgrund stürzte, die Heftigkeit des Gewitters aber hatte jede sofortige Hilfsaktion unmöglich gemacht; er hatte niemanden überreden können, ihn zu begleiten. Sobald sich das Wetter beruhigt hatte, hatte er

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