Wo bist du
hinzukauern. Die Augen weit aufgerissen, sah Susan den Lastwagen langsam nach hinten rutschen und über den Rand der Felswand kippen. Der Kühler richtete sich auf, ein letztes Aufbäumen, die Kegel der Scheinwerfer strahlten in den Himmel, und ihr alter Dodge verschwand in der Schlucht. Der Lärm des Regens war ohrenbetäubend. Wie gelähmt hörte Susan nichts anderes mehr. Juan wiederholte sich dreimal, bis sie reagierte. Sie mussten so schnell wie möglich weiter hinaufklettern; der Erdvorsprung, der ihnen als Zufluchtsort diente, zeigte erste Zeichen von Schwäche. Sie klammerte sich an ihn, und sie begannen, mehrere Meter hochzusteigen. Wie in ihren schlimmsten Albträumen kam es ihr vor, als würde sie mit jedem Schritt zurückrutschen, obwohl sie ihrem Körper befahl voranzugehen. Es war nicht nur ein Eindruck - die Erde gab tatsächlich unter ihren Füßen nach und zog sie mit sich nach unten. Er brüllte, sie solle durchhalten, sich an seine Beine klammern, aber ihre steifen Hände konnten Juans Hosenbein nicht festhalten.
Sie presste sich an die bewegliche Wand, Schlamm lief über sie, sie musste kräftig ausspucken, bekam nicht genug Luft. Das Dunkel vor ihren Augen wurde plötzlich von funkelnden Sternen erhellt, und sie verlor das Bewusstsein. Juan ließ sich, auf dem Rücken liegend, bis auf ihre Höhe gleiten. Er hob ihren Kopf an und presste ihn an seine Brust. Er entfernte die Erde, die in ihren Mund gedrungen war, drehte sie auf die Seite und steckte ihr zwei Finger in den Hals. Von heftigen Krämpfen geschüttelt, begann sie zu würgen. Juan zog sie fest an sich, bekam eine Wurzel zu fassen und klammerte sich mit aller Kraft daran. Er wusste nicht, wie lange er so würde durchhalten können, wusste nur, dass ihr beider Leben davon abhing.
10. Februar 1977 Susan,
wo bist du? Ich bin in größter Sorge. Von El Salvador wird berichtet, dass sich bewaffnete Guerilleros an den Grenzen zu deinem Land sammeln. Die New York Times spricht von Grenzüberschreitungen in honduranisches Territorium und von vereinzelten Kämpfen. Schick mir wenigstens ein paar Zeilen, um mir zu sagen, dass du gesund und in Sicherheit bist. Ich flehe dich an, gibt auf dich Acht und schreib mir schnell,
Philip
Sie hielten seit zwei Stunden durch. Als der Regen für eine Weile nachließ, hatten sie sich ein kleines Stück vorarbeiten können, um besseren Halt zu finden. Susan war wieder bei Bewusstsein.
»Um Haaresbreite wäre ich in den Bergen ertrunken; niemand wird mir das jemals glauben.«
»Schonen Sie Ihre Kräfte.«
»Das wird ja langsam eine Manie, mir zu sagen, ich soll den Mund halten.«
»Wir sind noch nicht gerettet.« »Wenn dein Gott uns gewollt hätte, wäre es schon geschehen.«
»Nicht von Gott kommt die Gefahr, sondern vom Berg und vom aguacero, dem Unwetter; und beide haben einen noch schwierigeren Charakter als Sie!«
»Ich bin müde, Juan.«
»Ich weiß, ich auch.«
»Danke, Juan, danke für alles, was du getan hast.«
»Wenn alle Menschen, die Sie gerettet haben, Ihnen danken sagen würden, dann würde man seit Monaten im Tal nichts anderes mehr hören.«
»Ich glaube, der Regen lässt nach.«
»Dies ist der Augenblick, um zu Gott zu beten, dass er nicht wieder schlimmer wird.«
»Das überlasse ich lieber dir. Du dürftest wohl einen besseren Draht zu ihm haben.«
»Die Nacht wird noch lang sein. Versuchen Sie, sich auszuruhen.«
Die Stunden schleppten sich ruhig dahin, bisweilen von den Launen des Gewitters unterbrochen, das sich nicht zum Rückzug entschließen konnte. Gegen vier Uhr morgens schlief Juan ein, sein Griff lockerte sich, und Susan rutschte mit einem Aufschrei ein Stück nach unten. Juan fuhr hoch, packte sie und zog sie wieder zu sich hoch. »Entschuldigen Sie, ich bin eingeschlafen.«
»Juan, du musst deine Kräfte für dich bewahren; beide schaffen wir es nie. Wenn du mich loslässt, hast du eine Chance.«
»Sie sollten wirklich besser den Mund halten, wenn nur dummes Zeug herauskommt.«
»Scheint eine fixe Idee von dir zu sein, dass ich die Klappe halten soll.«
Sie konnte sich ein paar Minuten zusammennehmen, dann brach sie das Schweigen, das ihr Juan auferlegt hatte, und erzählte ihm von der Angst, die sie gehabt hatte. Auch er hatte gedacht, ihr letztes Stündlein habe geschlagen. Wieder ein kurzes Schweigen, dann fragte sie ihn, woran er denke. An seine Eltern, antwortete er. Sie verstummte, und nach einer Weile brach sie in ein nervöses Lachen aus.
»Was ist
Weitere Kostenlose Bücher