Wo bitte geht's nach Domodossola
einfach herrlich: die alten Dächer, die drei Türme des Doms und die gewaltige Hohensalzburg auf einem Berg im Hintergrund. Die Einkaufsstraßen in diesem modernen Teil der Stadt waren für meinen Geschmack wesentlich interessanter und nicht so gekünstelt wie die Gassen der Altstadt. In einer Konditorei an der Linzer Gasse trank ich einen Kaffee. Jeder eintretende Gast wurde dort mit einem herzlichen »Grüß Gott« empfangen, auch ich, und das gefiel mir sehr. Später aß ich vorzüglich zu Abend, trank ein paar Bier und machte einen langen Abendspaziergang am Fluß entlang. Und ich kam zu dem Schluß, daß Salzburg gar keine so üble Stadt ist. Allerdings war es nicht das Salzburg, das die meisten Besucher sehen wollen.
Wien liegt ungefähr 300 Kilometer östlich von Salzburg, doch die Fahrt dorthin nahm den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag in Anspruch. Es heißt immer, in Europa sei das Bahnfahren das reinste Vergnügen, denn die Züge glitten schnell und ruhig durch die Lande. Das halte ich für ein Märchen. In Wirklichkeit sind Europas Züge oft entnervend langsam. Außerdem hält man hier noch immer an dem längst überholten System fest, fast jeden Wagen in Abteile zu unterteilen. Anfangs habe ich das als angenehm empfunden, aber schon bald kommt es einem vor, als würde man sieben Stunden in einem Wartezimmer sitzen und vergeblich auf den Arzt warten. In diesen Abteilen wird dem Reisenden eine intime Nähe zu Fremden aufgezwungen, die ich grundsätzlich als peinlich und anstrengend empfinde. Sobald man irgendetwas tut, ob man ein Buch aus der Tasche holt, ein Gähnen unterdrückt oder in seinem Rucksack wühlt, sofort sind alle Augen auf einen gerichtet. Für so etwas wie eine Privatsphäre ist hier kein Platz. Und natürlich drängen sich mit Vorliebe bei solchen Gelegenheiten die kleinen Unpäßlichkeiten des eigenen Körpers in den Vordergrund, denen gerade jetzt nicht abzuhelfen ist – der zurückgehaltene Furz, die kneifenden Boxershorts, der Kellogg’s Cornflake, der sich unerklärlicherweise tief im linken Nasenloch verkrochen hat. Mir machte der Cornflake zu schaffen. Es juckte wie verrückt. Am liebsten hätte ich mir den Finger soweit in die Nase gesteckt, daß ich meine Schädeldecke von innen hätte kratzen können. Das war unter diesen Umständen natürlich so unmöglich, als hätte ich keine Arme. Sogar seine Gedanken muß man im Zaum halten. Ohne zu wissen, warum (vielleicht weil ich mich selbst gerade mit körperlichen Dingen auseinanderzusetzen hatte), fiel mir plötzlich ein Redakteur ein, mit dem ich in der Wirtschaftsabteilung der Times zusammengearbeitet hatte. Ich werde ihn hier Edward nennen, denn das war sein Name. Edward hatte nicht alle Tassen im Schrank, was in jenen unbeschwerten prä-Murdoch Tagen kein Hinderungsgrund war, um für die Times zu arbeiten. Man konnte es sogar recht weit damit bringen. An eine seiner zahlreichen sonderbaren Angewohnheiten kann ich mich besonders gut erinnern: Abends, nach Börsenschluß in New York, wenn für uns nicht mehr viel zu tun war, bog Edward ein halbes Dutzend Büroklammern gerade und stocherte damit in seinen Ohren herum. Es sah gräßlich aus, aber Edward verdrehte genüßlich die Augen und gluckste vor Vergnügen. Er schien sich völlig unbeobachtet zu fühlen, dabei sah ihm jeder von uns fasziniert zu. Eines Abends, als er besonders hingebungsvoll stocherte und die Büroklammer mehr und mehr in seinem Kopf verschwand, rief John Price, der Chefredakteur: »Kommst du klar, Edward, oder sollen wir von der anderen Seite ziehen?«
Bei diesem Gedanken mußte ich laut lachen. Mitten in der endlosen Weite Österreichs brach ich in schallendes Gelächter aus, was mich ebenso entsetzte wie meine drei Reisegefährten. Verlegen und hilflos hielt ich mir die Hand vor den Mund, so daß ich vor Lachen fast erstickte. Ich starrte aus dem Fenster und versuchte angestrengt, mich auf die Landschaft zu konzentrieren, und nach zwanzig Minuten hatte ich mich soweit in der Gewalt, daß ich mich wieder dem Cornflake in meiner Nase zuwenden konnte.
In der Touristen-Information in Wiens riesigem Westbahnhof ließ ich mir ein Zimmer vermitteln und machte mich sogleich auf den Weg über die lange, häßliche Mariahilfer Straße in Richtung Stadtzentrum. Auf einer Länge von zweieinhalb Kilometern, vom Bahnhof bis zur Ringstraße, reihte sich ein schäbiger Discountladen an den nächsten, und die entsprechende Kundschaft bevölkerte die
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