Wo bitte geht's nach Domodossola
sein wollte. Es war eine Stätte der Zuflucht, eine kleine Insel des Lichts in der Dunkelheit von Downtown und dem Lokal auf Edward Hoppers Gemälde » The Nighthawks « , sehr ähnlich. Das »Y Not« gibt es schon lange nicht mehr. Leider. Es hieß, der Besitzer hätte eines Abends dort gegessen und sei daran gestorben. Doch ich habe es noch immer vor Augen: die beschlagenen Fensterscheiben, das in einer Ecke kauernde Grüppchen von Nachtarbeitern, Shirley, die einen besinnungslosen Gast beim Schopf packt, um unter seinem Kopf den Tresen abzuwischen, einen einsamen Mann mit Cowboyhut, der in Tagträumen versunken vor einer Tasse Kaffee und einer vor sich hin qualmenden Camel sitzt. Von Zeit zu Zeit denke ich daran zurück, ganz besonders an Orten wie dem südlichen Belgien, wenn es dunkel ist und kühl, und wenn sich verwaiste Bahngleise in zwei Richtungen bis zum Horizont erstrecken.
Aachen und Köln
Ich nahm einen Zug nach Aachen, eine Stadt, in der ich bisher noch nicht gewesen war. Sie liegt ganz in der Nähe von Lüttich, wo ich die Nacht verbracht hatte, und da ich das Aachener Münster schon immer sehen wollte, nutzte ich die Gelegenheit. Aachen, Maastricht und Lüttich sind praktisch Nachbarstädte. Obwohl sie nur etwa dreißig Kilometer voneinander entfernt liegen, befinden sie sich in drei verschiedenen Ländern und sprechen drei verschiedene Sprachen (nämlich Niederländisch, Französisch und Deutsch), doch die Menschen in dieser Region haben einen eigenen Dialekt entwickelt, so daß sie sich untereinander besser verständigen können als mit ihren Landsleuten.
Ich quartierte mich in einem kleinen Hotel gegenüber vom Bahnhof ein, lud meinen Rucksack ab und machte mich gleich daran, die Stadt zu erkunden. Mein Eifer überraschte mich selbst ein wenig. Ich hatte Deutschland seit siebzehn Jahren nicht mehr gesehen und wollte herausfinden, ob es sich verändert hatte. Und das hatte es. Es war noch reicher geworden. Es war 1973 schon ganz ordentlich reich, aber jetzt – Donnerwetter! Daneben verblaßten sogar die wohlhabenden Flamen. Hier sah fast jedes Kaufhaus teuer aus und war vollgestopft mit so exklusiven Dingen wie Mont-Blanc-Füllern und Audemars-Piguet-Uhren, und es mangelte nicht an Kundschaft. Selbst die Geschäfte, deren Sortiment aus profaneren Dingen bestand, erregten meine Aufmerksamkeit – zum Beispiel J. von der Driesel, ein Fachgeschäft für Küchengeräte und andere Haushaltsartikel in der Nähe des alten Marktplatzes. In seinen riesigen Fenstern war nichts Aufregenderes zu sehen als Bügelbretter, Wäschekörbe, Töpfe und Pfannen, doch jede Pfanne funkelte, jedes einzelne Stück Plastik glänzte. Ein Stückchen weiter kam ich nicht an einem, sondern an zwei Beerdigungsinstituten vorbei, deren Särge auf mich zwar einen germanisch kühlen Eindruck machten, die aber dennoch so elegant und einladend wirkten, daß ich unwillkürlich die Qualität der Futterstoffe und die glänzenden Beschläge bewunderte. Ich hatte noch immer die amerikanische Angewohnheit, Europa als ein Land und die Europäer im wesentlichen als ein Volk zu betrachten. Zwar kann man überall nachlesen, daß das Bruttosozialprodukt Dänemarks pro Kopf um vierzig Prozent höher liegt als das Großbritanniens, deshalb sehen die Dänen aber doch nicht vierzig Prozent reicher aus als die Briten. Und sie tragen auch keine Schuhe, die vierzig Prozent mehr glänzen, und ebensowenig fahren sie vierzig Prozent größere Autos. Hier allerdings wirkten die Menschen tatsächlich um einiges reicher, sogar um deutlich mehr als vierzig Prozent. Die Leute sahen aus, als hätten sie das, was sie am Leibe trugen, erst am Morgen gekauft. Nicht einmal die Turnschuhe der Kinder waren abgewetzt. Jedes Auto funkelte, als käme es direkt aus dem Ausstellungsraum. Selbst bei den Taxen handelte es sich ausnahmslos um Vertreter der Marke Mercedes Benz. Es war wie in Beverly Hills. Und dies war nur eine unbedeutende, kleine Stadt am Rande des Landes. Die Deutschen haben den Rest von uns weit hinter sich gelassen. Nicht alles war perfekt. Viele Gebäude in der Innenstadt waren von offensichtlicher Mittelmäßigkeit, vor allem das moderne Einkaufsviertel. Und die Kneipen und Restaurants konnten sich nicht in Gemütlichkeit und Geselligkeit mit denen in Holland und Belgien messen.
Doch kaum stand ich in der Stille des Domhofes, waren all diese kleinen Unzulänglichkeiten vergessen. Zuerst ging ich in die Schatzkammer, die die schönste
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