Wo bitte geht's nach Domodossola
entgangen waren. Wir schüttelten fassungslos die Köpfe, wie zwei Leute, die soeben unversehrt einem Autowrack entstiegen sind, und sprachen darüber, was für sonderbare Menschen doch die Europäer sind. Auf einer Reise durch einen Kontinent, auf dem die Leute freiwillig Zungen, Nieren, Pferdefleisch, Froschschenkel, Gedärme, Würste aus geronnenem Blut und die Hirne von kleinen Kühen essen, ist schon einiges an Wachsamkeit gefordert.
Endlich, nachdem ich eine ganze Weile gelaufen war, entdeckte ich in der Nähe meines Hotels an der Theaterstraße ein italienisches Restaurant namens Capriccio. Die Küche war italienisch, aber beim Personal handelte es sich ausnahmslos um Deutsche. Meine Kellnerin sprach kein Wort Englisch, und ich hatte die größte Mühe, mich verständlich zu machen. Ich bestellte ein Bier, und sie sah mich entgeistert an.
»Was? Tier?«
»Nein, Bier«, sagte ich, und ihre Verwirrung wuchs.
»Gier? Schmier? Stier? King Lier?«
»Nein, nein, Bier. « Ich deutete auf die Speisekarte.
»Ah, Bier « , sagte sie mit einer Spur von Mißbilligung, als hätte ich sie absichtlich irregeführt. Es war mir unangenehm, daß ich kein Deutsch sprach. Allerdings tröstete mich der Gedanke, daß ich, würde ich die Sprache verstehen, mitanhören müßte, womit der Wichtigtuer am Nachbartisch vor seiner Frau (oder vielleicht Geliebten) prahlte, was mich sicher ebenso gelangweilt hätte wie sie. Sie rauchte eine Zigarette nach der anderen und betrachtete mit unverhohlenem Interesse alle im Raum anwesenden Männer, natürlich mit Ausnahme meiner Wenigkeit. (Ich bin für jedermann unsichtbar, außer für Hunde und die Zeugen Jehovas.) Ihr Begleiter merkte nichts davon. Er war zu sehr damit beschäftigt, ihr zu berichten, wie er gerade eine Ladung Hula-Hoop-Reifen und Leo Sayer Alben an die Ostdeutschen verkauft hatte, und sonnte sich in seinem Erfolg. Wenn er lachte, hatte der Mann eine ungeheure Ähnlichkeit mit Arvis Dreck, meinem Lehrer im Fach Werken an der Junior Highschool. Das war eine beunruhigende Übereinstimmung, denn Mr. Dreck war eben jener Mann, dem ich meine wenigen Deutschkenntnisse zu verdanken habe. Ich hatte mich damals nur deshalb für den Deutschkurs eingeschrieben, weil er vom Traum meiner schlaflosen Nächte gegeben wurde. Sie hieß Miss Webster und hatte die wundervollsten Brüste und ein Hinterteil, das sich unter ihrem Rock wie zwei eingeschweißte Melonen abzeichnete. Sobald Miss Webster sich streckte, um etwas an die Tafel zu schreiben, begannen achtzehn pubertierende Jungs schwer zu atmen, und eine Hand nach der anderen glitt unter den Tisch. Doch kaum waren die ersten zwei Wochen des Schuljahres um, verließ Miss Webster unter mysteriösen Umständen die Schule, und Mr. Dreck sprang ein, bis Ersatz für sie gefunden war. Das war eine Katastrophe. Mr. Dreck verstand rein gar nichts von der deutschen Sprache. Näher als bis zu einem Bierfest in Milwaukee war er Deutschland nie gekommen. Ich bin sicher, daß er nicht im mindesten qualifiziert war, um diese Sprache zu lehren. Er unterrichtete uns, indem er mit seinem Stummelfinger den Zeilen eines Buches folgte und dabei alles übersprang, was ihm zu schwierig war. Ich glaube nicht, daß es allzu viel akademischer Bildung bedurfte, um an der Junior Highschool Werken zu lehren, doch selbst das verlangte Mr. Dreck bereits das Äußerste seiner geistigen Leistungsfähigkeit ab. Ich habe Mr. Dreck gehaßt, wie ich noch nie einen Menschen gehaßt habe. Zwei lange Jahre hat er mir das Leben zur Hölle gemacht. Während seiner endlosen, eintönigen Monologe über Handwerkzeuge aller Art, über deren Verwendung und Pflege, habe ich mich wirklich bemüht aufzupassen, doch schon nach wenigen Minuten wanderte mein Blick hilflos zum Fenster, vor dem eine Mädchenklasse ihren Gymnastikunterricht abhielt – sechsunddreißig pubertierende Mädchen, bekleidet mit kleinen, blauen Faltenröcken, die nicht ganz ihre kleinen frechen Hintern bedeckten –, und meine Gedanken rissen sich los, wie sich ein Hund von der Leine reißt, und tollten verspielt um sie herum, schnüffelten und hechelten um all die langen, braungebrannten Beine herum. Wandte ich mich dann nach ein oder zwei Minuten mit verträumt lüsternem Grinsen wieder dem Unterricht zu, mußte ich feststellen, daß alle Augen auf mich gerichtet waren. Offensichtlich hatte Mr. Dreck mir gerade eine Frage gestellt.
»Verzeihung, Mr. Dreck?«
»Ich sagte – was für ein Sägeblatt ist das
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