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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Reliquiensammlung beherbergt, die ich je zu sehen gehofft habe. Unter den Schätzen befinden sich die berühmte, lebensgroße Goldbüste von Karl dem Großen, ein geschnitztes Triptychon aus dem sechzehnten Jahrhundert, das eine Messe von Papst Gregor darstellt und das ich mein Leben lang betrachten könnte, und viele andere Dinge von außerordentlicher Schönheit und Kunstfertigkeit.
    Die gesamte Ausstellung verteilt sich auf nur drei kleine, schlichte und spärlich beleuchtete Räume – aber was für eine Sammlung! Daneben befindet sich die achteckige Kapelle, der die Kirche von San Vitale in Ravenna als Vorbild gedient hat. Ehemals gehörte sie zu einer Schloßanlage, die im Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig zerstört wurde. Die Kapelle ist klein und dunkel, aber wunderschön mit ihrem Kuppeldach, den Streifen aus verschiedenfarbigem Marmor und den prächtigen Buntglasfenstern. Sogar zu Zeiten Karls des Großen muß sie oft überfüllt gewesen sein, denn mehr als etwa hundert Menschen passen nicht hinein, aber jeder Zentimeter ist eine Augenweide. Die Kapelle ist eines dieser Bauwerke, die man sich nicht so sehr anschaut, als vielmehr darin badet. Ich würde morgen nach Aachen fahren, um sie wiederzusehen. Nach dem Besuch im Aachener Münster machte sich mein lädierter Knöchel wieder bemerkbar, und ich konnte meinen Stadtrundgang nur im Schneckentempo fortsetzen. Ich sah mir den großen, kopfsteingepflasterten Marktplatz an und humpelte zu einem übernatürlich friedlich wirkenden Wohnviertel am Lousberg Park. Die Vorstellung, daß diese angenehme Provinzstadt einst eine der bedeutendsten Städte Europas war, der Sitz des Heiligen Römischen Reiches, die Hauptstadt Karls des Großen, war schon sonderbar. Ein oder zwei Tage später schlug ich in Gilberts Geschichte des Zweiten Weltkriegs nach und erfuhr, daß Aachen als erste deutsche Stadt 1944 an die Alliierten gefallen war. Dem waren siebentägige Straßenkämpfe vorausgegangen, in deren Verlauf fast die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt worden war. Wer die Stadt heute sieht, wird das kaum für möglich halten. Am Abend begab ich mich auf die Suche nach einem Restaurant. Das kann in Deutschland zu einem Problem werden, denn es besteht immer die Möglichkeit, daß plötzlich drei Jungs in Lederhosen auftauchen und eine Polka zum besten geben. Man muß also vorsichtshalber durch die Fenster schauen und eingehend den Wirt befragen, um sicherzustellen, daß nicht um Punkt halb neun Willi und die Bayern-Burschen eine kleine Bühne erklettern. Es gibt nämlich nichts Schlimmeres, als gerade im Begriff zu sein, kräftig zuzulangen, ein gutes Buch aufgeschlagen neben sich, und sich dann unversehens von rotbäckigen Deutschen umringt zu sehen, die Maßkrüge schwenken und aus voller Kehle das »Horst Wessel Lied« schmettern. Nach dem Krieg hätte man die Deutschen im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens verpflichten müssen, zusammen mit ihren Waffen auch ihre Akkordeons niederzulegen.
    Ich studierte die neben den Türen ausgehängten Speisekarten von sechs oder acht Restaurants, stieß aber nur auf so ominöse germanische Gerichte wie Schweineschnauze mit Spucke und Grütze, gefüllte Schafsdärme und dergleichen mehr. Vermutlich verbergen sich dahinter ganz schmackhafte, wahrscheinlich sogar köstliche Speisen, aber mich überkommt stets die quälende Angst, ich könnte aus Versehen etwas bestellen, das sich dann als ein dampfender Teller voller Kutteln und Augäpfel entpuppt. In Norddeutschland haben Katz und ich einmal leichtsinnigerweise Kalbsbregen bestellt. Eine Minute später erschien zögernd und verlegen der Wirt an unserem Tisch und wischte sich die Hände an seiner Schlachterschürze ab.
    »Entschuldigen Sie vielmals, meine Herren«, sagte er auf Englisch, »aber wissen Sie denn, was Kalbsbregen ist?«
    Wir sahen uns an und gestanden, daß wir es nicht wußten.
    » It is what ze little cows zinks wiz « , klärte er uns auf. Katz fiel beinahe in Ohnmacht. Ich dankte dem Mann von Herzen, uns darauf aufmerksam gemacht zu haben, obwohl ich zu behaupten wage, daß dahinter ein gewisser Eigennutz steckte, daß es nämlich das Anliegen war, zu verhindern, daß sich zwei junge Amerikaner mitten in seinem Restaurant erbrechen könnten, das ihn an unseren Tisch führte. Jedenfalls bat ich ihn, uns etwas zu bringen, das auch in Mittelamerika als eßbar durchgehen würde. Während wir darauf warteten, wurde uns bewußt, wie knapp wir dem Unheil

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