Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
Rande erwähnt. Miep Gies, die Sekretärin von Otto Frank, mußte während der striktesten Rationierung drei Jahre lang jeden Tag Lebensmittel für acht Personen sowie für sich und ihren Mann beschaffen. Das muß nicht nur extrem schwierig, sondern auch sehr gefährlich gewesen sein. Und dies war kein Einzelfall: Zwanzigtausend Menschen haben in Holland während des Krieges unter Lebensgefahr Juden versteckt. Auch sie haben es verdient, daß man sich an sie erinnert.
    Was für eine Hölle muß es gewesen sein, im Europa der dreißiger Jahren ein Jude zu sein! Es begann damit, daß man ihnen die ungeheuerlichsten Demütigungen zufügte: Man verbot ihnen, in Parks und Cafes zu sitzen und mit der Straßenbahn zu fahren, und beschlagnahmte ihre Autos und Fahrräder, sogar die Fahrräder ihrer Kinder. Auch wenn das schon alles gewesen wäre, hätte es gereicht, um für immer einen dunklen Schatten auf Deutschland zu werfen. Doch die Judenverfolgung nahm unbeschreibliche Formen an, wie die Fotos und Dokumente in den anderen Räumen des Museums grauenhaft belegen – Menschen, die in Viehwaggons getrieben werden, Berge von erstarrten Leichnamen, die abgezehrten Gesichter der lebenden Toten, all die Bilder, die man schon tausendmal gesehen hat. Starr vor Entsetzen blieb ich vor einem Foto stehen, das ich noch nicht gesehen hatte. Die unscharfe Aufnahme zeigte einen deutschen Soldaten, der mit seinem Gewehr auf eine vor einem Graben voller Leichen kauernde Frau und das Baby in ihren Armen zielte. Ich konnte nicht aufhören, es anzustarren, und versuchte, mir vorzustellen, was für ein Mensch zu so etwas fähig ist. So ein Bild sollte man sich eigentlich nicht ansehen, wenn man im Begriff ist, zum Bahnhof zu gehen, um sich in einen Zug nach Deutschland zu setzen. 

    Hamburg

    Über Osnabrück und Bremen reiste ich nach Hamburg, wo ich am frühen Abend ankam. Ich kannte die Stadt bisher noch nicht. Auf dem Weg nach Skandinavien waren Katz und ich mit dem Zug durch Hamburg gefahren, aber das war spät am Abend, und alles, woran ich mich erinnern konnte, war eine dunkle Stadt und ein dunkler Bahnhof, in dem wir eine halbe Stunde Aufenthalt hatten. Der Bahnhof war so gewölbt und widerhallend wie damals, nur daß er nun, um sechs Uhr abends, nicht so dunkel und viel belebter war. Überall wimmelte es von Menschen, die zu ihren Zügen eilten.
    Da es in Amsterdam so schwierig gewesen war, ein Zimmer zu finden, bahnte ich mir nun den Weg zum Touristen-Informationsschalter und zahlte bereitwillig die stattliche Gebühr für die Vermittlung einer Unterkunft. Als ich dann aus dem Bahnhof trat, mußte ich jedoch zu meiner Verärgerung feststellen, daß das Hotel Popp, das Etablissement, an das mich der freundliche, junge Mann, nach Entgegennahme eines Bündels Geldscheine und einer Handvoll Münzen, in bestem Englisch verwiesen hatte, direkt gegenüber lag. Ich wäre innerhalb von dreißig Sekunden von selbst darauf gestoßen und hätte mir mit dem gesparten Geld einen flotten Abend auf der Reeperbahn machen können. Doch das Hotel war zentral gelegen und verfügte über eine Bar und ein Restaurant. Ich konnte mich also nicht beklagen. Das heißt, eigentlich konnte ich mich schon beklagen, denn das Zimmer war winzig und deprimierend einfach, mit einer Zwanzigwattbirne in der Leselampe, ohne Teppich, ohne Fernseher und mit einem Bett, das auch als Bügelbrett durchgegangen wäre. Wenigstens würde es mir bei einem Hotel mit einem so einprägsamen Namen erspart bleiben, nach einem Streifzug durch die Stadt einen Taxifahrer bitten zu müssen, mich so lange durch die Gegend zu kutschieren, bis ich das Haus irgendwo entdeckte. Das passiert mir in fremden Städten nämlich öfter, als mir lieb ist.
    Vor dem Abendessen machte ich einen Spaziergang. Entlang der Seitenstraßen in Bahnhofsnähe standen einige der mit Abstand unattraktivsten Prostituierten, die ich je gesehen habe – fünfzig Jahre alte Frauen in Miniröcken und schwarzen Netzstrümpfen, mit verschmiertem Lippenstift und Titten, die ihnen bis an die Kniescheiben reichten. Mir drängte sich die Frage auf, wie sie sich bloß von ihrem Job ernähren können. Als eine von ihnen mir einen »Hallo, Süßer«-Blick zuwarf, stolperte ich vor Schreck rückwärts auf die Straße und wäre fast unter einen Bus gekommen. Doch nach ein, zwei Häuserblocks änderte sich das Straßenbild. Ich hatte meinen Stadtplan im Hotel gelassen und wußte nicht, wo ich war, aber in jeder Richtung sah es

Weitere Kostenlose Bücher