Wo bitte geht's nach Domodossola
Handelsvolumen, das dem Österreichs entspricht. Noch bis vor einigen Wochen hätte ich hier das interessante Schauspiel verfolgen können, wie Frachtschiffe achtern Getreide entladen, um es kurz darauf wieder in ihre vorderen Laderäume zu schaffen. Auf diese Weise entlockten sie der so ungemein wohltätigen EG beträchtliche Extra-Zuschüsse. Mit ihrer Vorliebe für groben Unfug hat die EG jahrelang Sondersubventionen an Spediteure gezahlt, die in einem der Mitgliedsländer produziertes Getreide von einem anderen Land des Gemeinsamen Marktes aus reexportierten, so daß diese nur in Hamburg einen Zwischenstop einlegen mußten, um ihre Fracht sinnlos zu ent-und wieder zu verladen, und schon konnten sie ein Vermögen kassieren. Mit dieser kleinen List bereicherten sich einige Spediteure um sage und schreibe 100 Millionen Mark, bevor die Bürokraten der EG erkannten, daß sie das Geld nutzbringender ausgeben könnten – für sich selbst zum Beispiel –, und diesen Praktiken einen Riegel vorschoben.
Ich wanderte ein paar Hundert Meter landeinwärts zur Reeperbahn. Die sündige Meile wirkte enttäuschend fade. Natürlich zeigen sich sündige Orte bei Tageslicht nie von ihrer aufregendsten Seite. Ich kann mich daran erinnern, daß ich selbst in Las Vegas dachte, welch einen harmlosen Eindruck die ganze Szenerie doch bei Kaffee und Kuchen macht. All der Lärm und all die Lichter, die mit der Abenddämmerung hereinbrechen, erlöschen, sobald die Wüstensonne aufgeht, und sofort wirkt alles nichtssagend und erinnert an eine Filmkulisse. Doch auch wenn man das berücksichtigte, machte die Reeperbahn einen ausgesprochen zahmen Eindruck, besonders nach einer Stadt wie Amsterdam. Ich hatte eine schmale Fußgängerstraße erwartet, an der sich zu beiden Seiten Bars, Sexshops, Peepshows, Striptease-Lokale und all die anderen Dinge drängen, die einen einsamen Seemann wieder aufrichten. Doch dies hier unterschied sich kaum von einer normalen Stadtstraße. Dichter Verkehr schob sich Richtung Innenstadt. Zwar entdeckte ich eine Reihe von zwielichtigen Lokalen, aber dazwischen mischten sich jede Menge mehr oder weniger normale Etablissements – Restaurants, Cafes, Souvenirläden, Jeansshops, sogar ein Möbelgeschäft und ein Theater mit dem unvermeidlichen Cats auf dem Programm. Eigentlich gab es nur ein Anzeichen, das darauf schließen ließ, daß dies ein Viertel von zweifelhaftem Ruf war, und das war der müde Ausdruck auf den Gesichtern der Menschen. Fast alle sahen so ausgemergelt und kaputt aus wie die Leute, die Kirmesbuden betreiben.
Die wirklichen Spelunken befanden sich in den Nebenstraßen. In der Großen Freiheit zum Beispiel, in die ich nun einbog. Ich ging bis zum Kaiserkeller, Hausnummer 36. Dort haben früher die Beatles gespielt. Die meisten der anderen Läden an dieser Straße entpuppten sich als Veranstalter von Live-Sexshows. Interessiert stellte ich fest, daß die draußen ausgestellten Fotos der auftretenden Künstlerinnen – ich möchte fast sagen unklugerweise – ungewöhnlich ehrlich waren. Nach meiner Erfahrung zeigen Lokale wie diese grundsätzlich Fotos von Frauen, die für ihre Schönheit berühmt sind, wie Christie Brinkley und Raquel Welch. Zweifellos ist auch dem unerfahrensten Matrosen von der »Tristan da Cunha« klar, daß er drinnen andere Frauen auf der Bühne sehen wird, aber zumindest bleibt ihm die Möglichkeit, sich vorzustellen, was ihn erwartet. Auf diesen Fotos waren dagegen Frauen beängstigend fortgeschrittenen Alters zu sehen – Frauen mit ergrauten Haaren und Schenkeln, die mich an fließende Lava erinnerten. Diese Damen müssen ihre besten Jahre schon hinter sich gehabt haben, als hier noch die Beatles spielten. Auch die Sexshops konnten sich nicht mit denen in Amsterdam messen. Sie verfügten allerdings über eine stattliche Kollektion von Gummipuppen, die ich eingehend studierte, denn außer in einem Benny Hill Sketch hatte ich so etwas noch nie gesehen. Besonders angetan war ich von einer aufblasbaren Freundin namens Aphrodite, die zum Preis von 129 Mark zu haben war. Das Foto auf der Vorderseite der Verpackung zeigte eine hinreißende Brünette in transparentem Neglige. Entweder handelte es sich hier um grausame Irreführung, oder man hatte in der Herstellung von Vinyl im Laufe der letzten Jahre größere Fortschritte gemacht, als mir bekannt war. In leuchtenden Lettern standen auf dem Pappkarton Aphrodites vielfältige Qualitäten aufgelistet: LEBENSGROSS!, ZARTE,
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