Wo bitte geht's nach Domodossola
anzufangen wußte, da sie ausschließlich in italienischer Sprache beschriftet waren. Aber, seien wir ehrlich, im Grunde ist der Beitrag der Italiener zur technologischen Entwicklung der Menschheit ja auch beim Pizzaofen stehengeblieben.
Ich nahm einen Nachmittagszug nach Como, aus dem einzigen Grund, daß es nicht weit entfernt war, am See lag, und ich keine Lust hatte, eine weitere Nacht in einer Großstadt zu verbringen. Ich erinnerte mich, irgendwo gelesen zu haben, daß sich Mussolini am Corner See versteckt gehalten hatte, als der Krieg für Italien verloren war, und ich dachte, daß ein Ort, an dem ein verzweifelter Mann seine letzte Zuflucht fand, etwas Besonderes an sich haben muß.
Und so war es auch. Como ist eine makellose Kleinstadt, die am Südrand des schmalen, einundfünfzig Kilometer langen Sees gleichen Namens in den Voralpen eingebettet liegt. Obwohl es nur ein kleines Städtchen ist, besitzt es zwei Kathedralen, zwei Bahnhöfe, zwei prachtvolle Villen, einen bezaubernden Park, eine von Pappeln gesäumte und reichlich mit grünen Bänken bestückte Uferpromenade und ein Gewirr von uralten, autofreien Gassen voller kleiner Läden und verborgener Plätze. Es war perfekt, einfach perfekt. Ich bezog ein Zimmer im Hotel Plinius mitten im Ortskern, trank an der Piazza Roma zwei Kaffee und genoß den Blick über den See, bevor ich schließlich in ein nettes kleines Restaurant einkehrte und vorzüglich zu Abend aß. Und wieder war ich bis über beide Ohren in Italien verliebt. Nach dem Essen schlenderte ich mit den Händen in den Hosentaschen über die scheinbar endlose Uferpromenade und sah zu, wie die Nacht hereinbrach. Ich ging bis zur Villa Geno an einer Ausbuchtung des Sees und wanderte am gegenüberliegenden Ufer zurück. Als ich endlich zum Hotel zurückkehrte, war kein Mensch mehr auf den Straßen. Glücklich und zufrieden sank ich ins Bett.
Tags darauf besichtigte ich die zwei Hauptkirchen der Stadt. Die Basilika San Fidele, mit deren Bau 914 begonnen wurde, ist zwar die wesentlich ältere, doch größer und weitaus großartiger ist die 500 Jahre jüngere, gewölbt gebaute Kathedrale. Seit Aachen hatte ich außerhalb der großen Städte keine so herrliche Kirche mehr gesehen. Innen war sie so dunkel, daß es eine Weile dauerte, bis sich meine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten. Durch ein Buntglasfenster flutete das Licht der Morgensonne, um sogleich von den hohen, dunklen Gewölben geschluckt zu werden. Die Kirche war nicht nur überraschend groß für ihre Gemeinde, sondern auch verschwenderisch ausgestattet mit feinen Gobelins, alten Gemälden und einigen eindrucksvollen Plastiken, darunter eine Christusfigur, von der es heißt, sie weine. Eine geschlagene Stunde saß ich in einer stillen Ecke, ließ das Innere der Kirche auf mich wirken und sah zu, wie die Gläubigen ihre Kerzen anzündeten. Es war eine sehr beschauliche Stunde. Danach hielt ich die Zeit für gekommen, mich zum Bahnhof zu begeben, um Italien den Rücken zu kehren und in die Schweiz weiterzureisen. Durch steil aufragende Berge wand sich der Zug nach Norden. Bei Chiasso überquerten wir die Staatsgrenze. Die unscheinbare Grenzstadt an der Südspitze eines nach Italien hineinragenden Zipfels der Schweiz war 1979 der Schauplatz eines aufsehenerregenden Betruges. Damals gelang es fünf Männern, der kleinen Bankfiliale der Credit Suisse in Chiasso fast eine Milliarde Dollar abzuzapfen, bevor irgendjemand in der Züricher Zentrale davon Wind bekam.
Die Schweiz und Italien sind entlang der südlichen Alpen ineinander verzahnt wie die Finger gefalteter Hände, so daß ich die meiste Zeit der Fahrt nach Brig damit verbrachte, über die Grenze von einem Land ins andere zu fahren. Der Zug quälte sich in immer luftigere 246 Höhen, erst nach Lugano, dann nach Locarno. In Locarno mußte ich umsteigen. Da mir bis zur Ankunft des nächsten Zuges eine volle Stunde blieb, zog ich los, um mich in der Stadt umzusehen und um ein Sandwich zu essen. Locarno entpuppte sich als hübsches, sonniges Städtchen, mit einer Uferpromenade, die noch schöner war als die in Como. Obwohl die Leute hier Italienisch sprachen, gab es doch einige untrügliche Anzeichen dafür, daß ich mich in der Schweiz befand: die Zebrastreifen, die leuchtend roten Parkbänke, die aussahen, als hätte man sie erst am Morgen gestrichen, und die geharkten Wege in dem kleinen Park am See, auf denen auch nicht ein Blatt herumlag. Überall fegten Straßenkehrer mit
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