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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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mehr hatte, machte ich mich zu Fuß auf den weiten Weg zum American Express Büro. Vor dem für Verlustmeldungen zuständigen Schalter hatte sich eine Schlange gebildet, die einzige im ganzen Büro. Sie bestand aus sieben oder acht Leuten, allesamt Amerikaner. Während wir miteinander ins Gespräch kamen, stellte sich heraus, daß wir alle von Kindern bestohlen worden waren, auf die in etwa dieselbe Beschreibung paßte. Und hier ging es wohlgemerkt nur um American Express Schecks. Zählt man all die anderen Arten von gestohlenen Reiseschecks und das erbeutete Bargeld hinzu, dann müssen es die Zigeuner an Sonntagen auf Mindesteinnahmen von 25000 bis 30000 Dollar bringen. Vermutlich werden die Schecks anschließend in befreundeten Wechselstuben im ganzen Land gewaschen. Da wundert es doch sehr, daß sich die Polizei so wenig um diese Gaunereien kümmert (es sei denn, sie bekommt ein Stück vom großen Kuchen ab). American Express ersetzte mir meine Reiseschecks jedenfalls mit lobenswerter Promptheit, so daß ich schon fünfzehn Minuten später wieder auf der Straße stand. Ich war kaum fünf Schritte gegangen, da bat mich eine Zigeunerin mit einem dreijährigen Kind auf dem Schoß um Geld. »Ich habe schon etwas gegeben«, sagte ich und marschierte in Richtung Bahnhof. 

    Mailand und Como

    Voller Erwartung kam ich am Nachmittag in Mailand an – in der reichsten Stadt Italiens, dem Hauptsitz vieler der berühmtesten Namen aus Wirtschaft und Handel des Landes: Campari, Benetton, Armani, Alfa Romeo und der ungleichen Imperien von Silvio Berlusconi und Franco Maria Ricci. Und genau das ist, und das hätte ich mir vorher denken können, das Problem Mailands. Städte, die sich dem Geldverdienen verschrieben haben, und in Mailand scheint man an kaum etwas anderes zu denken, bringen nur selten die Energie auf, nebenbei auch noch reizvoll zu sein.
    Ich quartierte mich in einem unscheinbaren, aber teuren Hotel am monumentalen Hauptbahnhof ein – ein Koloß aus weißem Marmor, der aussah, als wäre er gebaut worden, um einen passenden Rahmen für Mussolinis Massenveranstaltungen abzugeben – und begab mich auf die lange, schweißtreibende Wanderung über die Via Pisani in die Innenstadt. Die breite Via Pisani wirkte eher amerikanisch als europäisch. Elegante Bürogebäude aus Glas und Chrom säumten die Straße, doch der begrünte Mittelstreifen war ungepflegt, und unter den wenigen Bänken lagen gebrauchte Spritzen, je mehr ich mich der Innenstadt näherte, desto älter und angenehmer wurden die Gebäude. Aber irgendetwas fehlte noch immer. In einem winzigen Park mitten in einem hübschen Wohnviertel unweit des Domplatzes legte ich eine Pause ein und warf einen Blick auf den Stadtplan. Der Park bot ein Bild der Verwahrlosung. Kein Grashalm wuchs mehr. Alle Bänke waren kaputt, und Tauben pickten zwischen Hunderten von Zigarettenkippen und weggeworfenen Fahrscheinen herum. Eine solche Schlamperei darf sich eine reiche Stadt meiner Ansicht nach nicht erlauben. Zwei Häuserblocks entfernt aber entfaltete Mailand seine ganze Pracht. Hier standen dicht beieinander die drei Herrlichkeiten der Stadt – die Scala, der Duomo und die Galleria Vittorio Emanuele. Zuerst besichtigte ich den Dom. Das gotische Bauwerk, die drittgrößte Kirche der Welt, verbarg sich von außen hinter Baugerüsten und war innen so dunkel, daß es eine Weile dauerte, bis ich seine Ausmaße erfaßt hatte. Seine höhlenartige Finsternis war wunderbar. Und nicht ein Tourist war hier zu sehen, nach Florenz eine wahre Wohltat. Nur Einheimische strömten ein und aus. Sie stellten eine Kerze zu den Hunderten von brennenden Kerzen und beteten ein schnelles »Ave Maria«, um dann zum Essen nach Hause zu gehen. Mir gefiel das. Heutzutage ist es schon ziemlich ungewöhnlich, daß eine so großartige Kirche noch für ihren ursprünglichen Zweck genutzt wird. Über den Domplatz schlenderte ich zur Galleria Vittorio Emanuele und verbrachte dort eine vergnügliche Stunde. Mit auf dem Rücken verschränkten Händen bummelte ich von einem Schaufenster zum nächsten und blickte gelegentlich besorgt zu den Tauben hinauf, die sich hier eingeschlichen hatten, um von Dachsparren zu Dachsparren zu flattern und auf die Leute unter ihnen zu scheißen. Die vierstöckige Einkaufspassage wurde im bombastischen Stil der sechziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts erbaut. Mit ihren hübsch gefliesten Stockwerken, dem gewölbten Dach aus einem Gitterwerk aus Glas und Stahl und

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