Wo bitte geht's nach Domodossola
Räumen zeigten dunkle Rechtecke auf der Tapete, daß hier einmal Bilder gehangen hatten, die nun verliehen worden waren oder gerade restauriert wurden. Doch was von der Ausstellung übrig geblieben war, war nicht nur eindrucksvoll, sondern auch vertraut – Mantegnas perspektivische Darstellung des Leichnams Christi, eine Madonna von Bellini, zwei erst kürzlich und strahlend restaurierte Canalettos und Piero della Francescas großartiges, aber doch sehr bizarres »Madonna mit dem Jesuskind, Engeln, Heiligen und Federico da Montefeltro« – nochmal unser alter Freund, der Herzog von Urbino.
Dieses Bild habe ich überhaupt nicht verstanden. Wenn es nach dem Tode des Herzogs gemalt worden ist und wir ihn hier im Himmel vor uns sehen, warum hat Francesca Jesus dann als Säugling dargestellt? Oder wollte er uns glauben machen, der Herzog hätte es irgendwie geschafft, durch die Jahrhunderte zu fliegen, um bei Christi Geburt dabei zu sein? Was immer es auch bedeuten mag, das Gemälde ist auf jeden Fall ein bemerkenswertes Kunstwerk. Ein Besucher mochte es so sehr, daß er sich von Zuhause einen Klappstuhl mitgebracht hatte und nun mit verschränkten Armen davor saß, um es still zu betrachten. Das Beste an der Galerie im Brera war, daß sie fast menschenleer war. Unter den wenigen Einheimischen war ich der einzige ausländische Tourist. Nach Florenz genoß ich es in vollen Zügen, mir die Gemälde anzusehen, ohne vor jedem einzelnen jemanden bitten zu müssen, mich hochzuheben.
Danach durchquerte ich die ganze Innenstadt, um mir im Refektorium der Kirche Santa Maria delle Grazie Leonardos »Abendmahl« anzusehen. Hat man den stolzen Eintrittspreis entrichtet, tritt man in einen leeren, schummrigen Saal und steht plötzlich davor – vor dem berühmtesten aller Fresken. Es bedeckt die gesamte hintere Wand. Ein Geländer hält den Besucher etwa sieben Meter auf Distanz, was ich ziemlich unfair fand, denn die Farben sind so blaß, daß man selbst aus zwei Metern Entfernung kaum etwas erkennt. Aus sieben Metern sieht man so gut wie gar nichts. Es ist wie ein Geisterbild. Wer nicht zuvor zig Reproduktionen gesehen hat, wird es vermutlich nicht wiedererkennen. An einer Seite der Wand stand ein einsamer Restaurator auf einem Gerüst und pinselte am »Abendmahl« herum. Seit Jahren arbeiten sie daran, doch nichts deutete darauf hin, daß das Gemälde in absehbarer Zeit zu neuem Leben erwachen wird. Armer Leonardo. Die Vergangenheit ist nicht gerade zimperlich mit seinem Werk umgesprungen. Kaum hatte er das Fresko fertiggestellt, begann die Wand zu bröckeln. Später rissen Mönche Teile der Wand ab, um eine Tür einzubauen. Noch später diente der Saal nicht mehr als Refektorium, sondern wurde im Laufe der Zeit in einen Stall (können Sie sich das vorstellen – eine Herde von Eseln vor dem größten Wandgemälde aller Zeiten?), in einen Lagerraum, in ein Gefängnis und in eine Kaserne umfunktioniert. Viele der früheren Restaurierungsarbeiten waren alles andere als gelungen, um es vorsichtig auszudrücken. Ein Künstler malte dem Heiligen Johannes sechs Finger. Es ist ein Wunder, daß das Gemälde überhaupt bis heute überdauert hat. Aber im Grunde hat es nicht wirklich überlebt. Ich frage mich, wie es wohl nach weiteren zehn oder fünfzehn Jahren Restaurierung aussehen wird. Heute jedenfalls wäre es exakter zu sagen, daß dies der Ort ist, an dem sich das »Abendmahl« einmal befunden hat.
Wohl wissend, daß ich einen Fehler beging, steckte ich 1000 Lire in einen Automaten an der Wand. Es folgte ein kurzer, nüchterner Bericht über die Geschichte des Freskos, verlesen von einer Frau, deren englische Aussprache den Erfordernissen nicht ganz gerecht wurde ( » Da fresk you see in fronna you iss juan of da grettest works of art in da whole wold … « ) . Ich sah mich um, entdeckte aber keine anderen Mittel und Wege, mein Geld zu verschwenden, und trat blinzelnd in den grellen Sonnenschein hinaus.
Ich schlenderte zum benachbarten Museo Tecnica, an dessen Kasse ich erneut tief in den Geldbeutel greifen mußte, um anschließend durch seine leeren Räume zu wandeln. Ich hatte gelesen, daß das Museum funktionsfähige Modelle aller Erfindungen Leonardos ausstellte, und war dementsprechend gespannt. Doch die kleinen Holzmodelle erwiesen sich als überraschend langweilig und, naja, ein wenig hölzern. Ansonsten bestand die Ausstellung aus alten Schreibmaschinen und verschiedenen anderen Apparaten, mit denen ich nichts
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