Wo der Pfeffer wächst (Sonderpreis bis zum 31.07.2012) (German Edition)
eingerichtet, weil Hygiene in Horsts Anwesenheit durch Abwesenheit glänzt.
Meine Mutter schnaubt. Offenbar hat der jüngste Horst-Vorfall wieder einmal ihre Putzwut entfacht, was mich innerlich den Kopf schütteln lässt. Sofort wird mir klar, dass dies genau der Moment ist, in dem ich das Weite suchen sollte.
Während meine Mutter in der Küche noch eine Portion des übrig gebliebenen Essens für meinen Freund Daniel zusammenpackt, ist sie einem Nervenzusammenbruch nahe. Die Nachricht, dass ich mich auf den Weg machen will, überfordert sie.
„Du hättest wenigstens warten können, bis die Waschmaschine fertig ist. Aber das ist ja mal wieder typisch für dich. Jetzt muss ich den Abwasch allein machen und beim Gardinen-Aufhängen hilft mir nachher auch wieder niemand.“
Solche Aussagen sind bezeichnend für sie. Es ist ja nicht so, dass ich nie versucht hätte, sie im Haushalt zu unterstützen. Doch mit meinen kläglichen Bemühungen bin ich ein ums andere Mal gescheitert. Fange ich an, das Geschirr zu spülen, steht meine Mutter von Anfang an neben mir, schubst mich spätestens nach dem dritten Glas beiseite, da meine Arbeit nicht den hinterwäldlerischen Mindestanforderungen entspricht, und nimmt die Sache selbst in die Hand. Mit dem Staubsaugen verhält es sich genauso, ebenso mit dem Tisch-Decken, dem Aufräumen, dem Staubwischen ... Naja, mit allem eben ...
„Warum schaffst du dir keinen Geschirrspüler an?“, entgegne ich, wohlwissend, dass sie diese Frage auf die Palme bringt.
„Du weißt doch, dass diese Dinger nichts taugen! Die Gläser glänzen danach gar nicht mehr. Außerdem stinken diese Geräte bestialisch, wenn man sie zwei Tage lang nicht angestellt hat. Das merke ich immer wieder, wenn ich bei Irmgard bin. Allein das ist schon Grund genug, das Mittwochs-Kaffeekränzchen woanders hin zu verlegen. Und von dem Wasser, das so ein Geschirrspüler verbraucht, will ich gar nicht erst reden! Hast du eine Ahnung, was so etwas kostet?“
Bei dieser Frage kann ich nur raten. Gemessen an meiner Mutter, ermöglicht ein geschirrspülerloser Haushalt wohl ein kreditfreies Leben, mit der Zusatzoption, sich alle drei Jahre einen mit Bargeld bezahlten Neuwagen gönnen zu können. Andererseits habe ich selbst auch keinen Geschirrspüler und lebe am Existenzminimum. Gemessen an mir, ist die Vermutung ,Reichtum ohne Geschirrspüler‘ wohl eindeutig falsch.
„Dann frag doch einfach Horst, ob er dir beim Spülen hilft!“, erwidere ich in dem Bewusstsein, dass sie dieser Vorschlag noch mehr auf die Palme bringt.
„Horst muss sich ausruhen!“, faucht sie mich an. „Immerhin bringt er das Geld nach Hause. Und während seiner Freizeit ist er so erschöpft, dass er sich nicht einmal um deinen kleinen Bruder kümmern kann.“
Mein Bruder Franz-Josef ... Noch ein guter Grund, um mich zeitig aus dem Staub zu machen.
Anders, als meine Schwester und ich, ist Franz-Josef das einzige leibliche Kind von Horst und meiner Mutter und darüber hinaus der Nerventod in Person. Nächstes Jahr wird er eingeschult. Meiner Mutter zufolge soll er unter anderem von meiner ehemaligen Klassenlehrerin, Frau Schönschlecht, unterrichtet werden. Noch hat sie nicht die geringste Ahnung, wie sehr sie ihren Ruhestand nach diesem einen Jahr, das ihr noch bis zur Rente bleibt, nötig haben wird. Mitleid habe ich mit ihr allerdings nicht. Quid pro quo , wie es so schön heißt. Alte Schreckschraube!
Mit meinem Bruder hat Horst jedenfalls den eindeutigen wissenschaftlichen Beweis erbracht, dass sich manche Menschen einfach nicht fortpflanzen sollten. Intelligenz soll ja auch vererbbar sein. Aber selbst vierzig Prozent von Nichts bleibt Nichts. Glücklicherweise ist Franz-Josef dieses Mal nach dem Mittag recht schnell weggedöst. Normalerweise ist er nicht klein zu kriegen, doch irgendwann braucht selbst der amtierende Rekordhalter im TV-Dauer-Glotzen seinen Schlaf. Bei seiner Erziehung werden viele Dinge anders gemacht, als bei mir damals, obwohl es diesbezüglich im Prinzip nur einen einzigen Unterschied gibt: Ich durfte nichts, Franz-Josef darf alles. Und nun ist er der Spiegel von Horsts Selbst. Schluchz.
Horst hat auch noch nie irgendwelche Anstrengungen unternommen, mir nicht pausenlos zu verstehen zu geben, dass er mit mir nichts am Hut hat, was ich wiederum nicht schlimm finde. Manchmal frage ich mich aber schon, wer mein Vater ist. Horst kann ich glücklicherweise ausschließen – der Erfindung des Vaterschaftstests sei Dank!
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