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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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sind auf der Themse daran vorbeigekommen.« Die übrigen Kirchen Londons stimmten in das Geläut der Kathedrale in Southwark ein. Schließlich beendete ein Nachzügler mit einem dissonanten Klirren das Glockenspiel, und gleich darauf war ich eingeschlafen.
    Mitten in der Nacht wurde ich durch leises Gemurmel in Matthews Schreibstube geweckt. Ich tastete das Bett ab, aber Matthew lag nicht mehr an meiner Seite. Die Lederriemen, auf denen die Matratze ruhte, quietschten und knarrten, als ich mich auf den kalten Boden hinabließ. Bibbernd warf ich mir eine dünne Decke über, bevor ich das Zimmer verließ.
    Den Wachspfützen im flachen Kerzenständer nach zu urteilen saß Matthew schon seit Stunden an seinem Schreibtisch. Vor den Regalen in der Mauernische neben dem Kamin stand Pierre. Er sah aus, als hätte man ihn bei Ebbe durch den Themseschlick geschleift.
    »Ich bin mit Gallowglass und seinen irischen Freunden durch die ganze Stadt gezogen«, murmelte Pierre. »Falls die Schotten irgendetwas über den Schulmeister wissen, dann behalten sie es jedenfalls für sich, Milord.«
    »Welchen Schulmeister?« Ich trat ins Zimmer. Erst in diesem Moment bemerkte ich die schmale Tür, die in die Holzvertäfelung eingelassen war.
    »Verzeiht, Madame. Ich wollte Euch nicht wecken.« Pierres Bestürzung war ihm durch den Dreck hindurch anzusehen, und der Gestank, der von ihm ausging, trieb mir die Tränen in die Augen.
    »Schon gut, Pierre. Geh jetzt. Ich komme später zu dir.« Matthew wartete, bis sein Diener mit quietschenden Stiefeln davongeeilt war. Dann wanderte sein Blick zu den Schatten neben dem Kamin.
    »Den Raum hinter dieser Tür hast du bei unserer Führung ausgelassen«, sagte ich und trat zu ihm. »Was ist passiert?«
    »Es gibt schon wieder Neuigkeiten aus Schottland. Ein Geschworenengericht hat einen Hexer namens John Fian – einen Schulmeister aus Prestonpans – zum Tode verurteilt. Während ich weg war, versuchte Gallowglass herauszufinden, ob etwas Wahres an den wilden Anschuldigungen ist, und wenn ja, was. Er hätte Satan angebetet, auf einem Friedhof Leichen zerstückelt, Maulwurfskrallen in Silberstücke verwandelt, sodass ihm nie das Geld ausgehen konnte, und wäre gemeinsam mit dem Teufel und Agnes Sampson in See gestochen, um sich dem König zu widersetzen.« Matthew warf ein Blatt Papier auf den Tisch. »Soweit ich feststellen kann, gehört Fian zu jenen, die wir früher als Tempestarii bezeichneten, und ist völlig harmlos.«
    »Ein Windhexer oder möglicherweise ein Wasserhexer«, übersetzte ich den mir fremden Begriff.
    »Genau«, nickte Matthew. »Fian besserte sein Salär als Lehrer auf, indem er während langer Trockenzeiten Gewitter heraufbeschwor oder indem er den Schnee tauen ließ, wenn der schottische Winter nicht enden wollte. Soweit man hört, bewunderten ihn die Menschen aus seinem Dorf. Selbst Fians Schüler wussten nur Gutes über ihn zu sagen. Fian besaß vielleicht ein gewisses Talent als Seher – man schreibt ihm zu, den Tod verschiedener Menschen vorhergesehen zu haben, aber womöglich hat sich Kit das nur ausgedacht, um die Geschichte für das englische Publikum auszuschmücken. Wie du dich erinnerst, faszinieren ihn die prophetischen Fähigkeiten der Hexen.«
    »Hexen haben oft unter den wechselnden Launen ihrer Nachbarn zu leiden, Matthew. Gerade eben waren wir noch jedermanns Freund, im nächsten Augenblick werden wir aus der Stadt gejagt – oder Schlimmeres.«
    »Was mit Fian geschah, war eindeutig schlimmer«, sagte Matthew grimmig.
    »Ich kann es mir vorstellen«, sagte ich schaudernd. Falls Fian genauso gefoltert worden war wie Agnes Sampson, war ihm der Tod mit Sicherheit wie eine Erlösung erschienen. »Was ist in dem Raum?«
    Matthew überlegte kurz, ob er mich damit abspeisen sollte, das wäre geheim, nahm dann aber klugerweise Abstand davon. »Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich es dir zeige. Halte dich an mir fest. Es dämmert noch nicht, und wir dürfen kein Licht da hinein mitnehmen, sonst könnte es nach draußen dringen.« Ich nickte stumm und nahm seine Hand.
    Wir traten über die Schwelle in einen langen Raum, unter dessen Giebel, schmal wie Schießscharten, eine Reihe von Fenstern klemmte. Nach ein paar Sekunden hatten sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt, und graue Umrisse schälten sich aus der Düsternis. Ein Paar alte Stühle aus Korbgeflecht standen sich mit steifer Rückenlehne gegenüber. In der Mitte des Raumes erstreckten sich zwei Reihen von

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