Wo die Nacht beginnt
In einem alten Schuppen neben dem Gemeinschaftsabort war eine Gruppe von Wäscherinnen bei der Arbeit.
Linker Hand gelangte man über eine gewundene Treppe zu unseren Räumen im Obergeschoss, wo uns Françoise bereits auf der breiten Balustrade erwartete. Sie hatte die massive Wohnungstür aufgerissen, hinter der ein Schrank mit durchlöcherten Seitenwänden kauerte. An einem der Türknäufe hing eine gerupfte Gans mit gebrochenem Genick.
»Endlich!« Henry Percys Gesicht erstrahlte. »Wir warten schon seit Stunden. Meine gute Frau Mutter hat Euch eine Gans geschickt. Sie hörte, in der Stadt sei kein Geflügel zu bekommen, und befürchtete, Ihr könntet Hunger leiden.«
»Schön, Euch wiederzusehen, Hal«, begrüßte Matthew ihn lachend und sah kopfschüttelnd auf die Gans. »Wie geht es Eurer Mutter?«
»Zu Weihnachten verwandelt sie sich alljährlich in eine Xanthippe, danke der Nachfrage. Die meisten meiner Verwandten haben bereits unter fadenscheinigen Vorwänden die Stadt verlassen, aber ich sitze auf Geheiß der Königin hier fest. Ihre Majestät brüllte quer durch den Audienzsaal, dass man mir nicht einmal bis P-P-Petworth trauen könnte.« Bei der Erinnerung begann Henry sofort zu stottern und sah betreten zu Boden.
»Wir würden uns sehr freuen, wenn Ihr Weihnachten mit uns feiern würdet, Henry«, sagte ich, ließ den Umhang von den Schultern gleiten und trat in die Wohnung, wo der Duft von Gewürzen und frisch geschnittenen Fichtenzweigen die Luft erfüllte.
»Ich danke Euch von Herzen für die Einladung, Diana, aber meine Schwester Eleanor und mein Bruder George sind in der Stadt und sollten meiner Frau Mutter nicht allein gegenübertreten müssen.«
»Dann bleibt wenigstens heute Abend bei uns«, drängte ihn Matthew und schob ihn nach rechts, wo ein wärmendes Kaminfeuer lockte. »Und erzählt uns, was sich während unserer Abwesenheit alles zugetragen hat.«
»Hier ist alles ruhig«, meldete Henry frohgemut.
»Ruhig?« Gallowglass kam die Treppe heraufgetrampelt und sah den Earl frostig an. »Marlowe sitzt im Cardinal’s Hat, trunken wie ein Bürstenbinder, und tauscht Verse mit diesem verarmten Schreiberling aus Stratford, der sich an seine Fersen geheftet hat und darauf hofft, ebenfalls Stückeschreiber zu werden. Einstweilen gibt sich dieser Shakespeare anscheinend damit zufrieden zu lernen, wie man deine Unterschrift fälscht, Matthew. Laut dem Rechnungsbuch des Wirtes hast du letzte Woche versprochen, Kits Zimmer und seine Kost zu begleichen.«
»Ich bin erst vor einer Stunde von ihnen weggegangen«, protestierte Henry. »Kit wusste, dass Matthew und Diana am Nachmittag eintreffen sollten. Er und Will versprachen, sich zu benehmen.«
»Das erklärt alles«, murmelte Gallowglass sarkastisch.
»Habt Ihr das veranlasst, Henry?« Ich blickte von der Eingangshalle in den Wohnraum. Jemand hatte den Kamin und die Fensterrahmen mit Stechpalmenblättern, Efeu und Fichtenzweigen geschmückt und in der Mitte des Eichentisches ein dazu passendes Gesteck aufgebaut. Der Kamin war mit Scheiten vollgeladen, und ein fröhliches Feuer zischte und knisterte darin.
»Françoise und ich wollten Euch ein feierliches Christfest bereiten«, gestand Henry und lief rosa an.
Das Hart and Crown stand für städtisches Renaissanceleben in Vollendung. Der Salon war angenehm groß, aber gleichzeitig wohnlich und gemütlich. Durch die nach Westen gehende Hausfront zog sich ein breites, aus vielen Butzenscheiben bestehendes Band von Fenstern mit Blick auf die Water Lane. Dank des im Fensterbrett eingelassenen Polstersitzes war es ein idealer Fleck, um das Leben auf der Straße zu beobachten. Eine Vertäfelung aus mit Blumen und Ranken verzierten Paneelen schmückte die Wände.
Die wenigen Möbel waren solide gearbeitet. Vor dem Kamin warteten eine breite Bank und zwei Sessel. Der Eichentisch in der Mitte des Raumes war ungewöhnlich kunstvoll gearbeitet, vielleicht achtzig Zentimeter breit, dafür aber umso länger, und die Beinen waren mit fein ziselierten Gesichtern von Karyatiden und Hermen verziert. Über dem Tisch hing ein langer, mit Kerzen besetzter Balken. Mit Hilfe eines an der Decke angebrachten Seilzuges konnte er je nach Bedarf angehoben oder gesenkt werden. Geschnitzte Löwenköpfe bleckten die Zähne vom Kranz eines monströsen Schrankes her, in dem ein breites Sortiment von Krügen, Karaffen, Pokalen und Bechern stand sowie – bezeichnend für einen Vampirhaushalt – ein paar vereinzelte
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