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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Stückeschreiber, Kit, habt Ihr ein bemerkenswert schlechtes Gespür für Ort und Zeit.« Walters blaue Augen richteten sich auf Matthew. »Sollen wir die Angelegenheit woanders besprechen, oder ist dies nur eine von Kits Phantastereien? Falls dem so ist, würde ich gern hier in der Wärme bleiben und in Frieden mein Bier austrinken.« Die beiden Männer musterten einander. Als Matthew keine Miene verzog, begann Walter leise zu fluchen. Als wäre das sein Stichwort, erschien Pierre.
    »Im Salon brennt ein Feuer, Milord«, erklärte der Vampir Matthew, »und es stehen Wein und Speisen für Eure Gäste bereit. Dort seid Ihr ungestört.«
    Der Salon war weder so gemütlich wie der Raum, in dem wir unser Frühstück eingenommen hatten, noch so grandios wie der große Saal. Die vielen mit Schnitzereien verzierten Stühle, die üppigen Wandbehänge und kunstvoll gerahmten Gemälde ließen darauf schließen, dass er vor allem dafür gedacht war, wichtige Gäste zu empfangen. Am Kamin hing ein phantastisches Holbein-Gemälde, auf dem der heilige Hieronymus mit seinem Löwen dargestellt war. Es war mir ebenso unbekannt wie das danebenhängende Holbein-Porträt eines schweinsäugigen Heinrich VIII., der, ein Buch und eine Brille in der Hand, den Betrachter nachdenklich über einen Tisch voller wertvoller Objekte hinweg anstarrte. Heinrichs Tochter, die erste und nun amtierende Königin Elisabeth, blickte ihn hoheitsvoll von der Wand gegenüber an. Die angespannte Atmosphäre zwischen den beiden hob auch nicht gerade die Stimmung, als wir unsere Plätze einnahmen. Matthew setzte sich an das Feuer, verschränkte die Arme vor der Brust und sah nicht weniger hoheitsvoll aus als die Tudors an den Wänden.
    »Wirst du ihnen die Wahrheit sagen?«, flüsterte ich ihm zu.
    »Das würde es allen einfacher machen, Mistress«, bemerkte Raleigh scharf, »ganz zu schweigen davon, dass es sich Freunden gegenüber geziemt.«
    »Ihr vergesst Euch, Walter«, warnte Matthew ihn hitzig.
    »Mich vergessen! Und das von einem, der sich mit einer Hexe eingelassen hat?« Walter hielt problemlos mit Matthew mit, wenn es um hitzige Reaktionen ging. Gleichzeitig hörte ich echte Angst in seiner Stimme.
    »Sie ist meine Gemahlin«, gab Matthew zurück. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Und ja, sie ist eine Hexe, aber werden wir nicht alle, die wir hier versammelt sind, aus einem echten oder eingebildeten Grund verteufelt?«
    »Aber sie zum Weib zu nehmen – was habt Ihr Euch dabei gedacht?«, fragte Walter benommen.
    »Dass ich sie liebe«, sagte Matthew. Kit verdrehte die Augen und schenkte sich aus einer silbernen Karaffe frischen Wein ein. Meine Phantasien, mit ihm am Feuer zu sitzen und über Magie und Literatur zu diskutieren, lösten sich im klaren Licht dieses Novembertags in Luft auf. Ich war noch keine vierundzwanzig Stunden im Jahr 1590, doch schon jetzt ging mir Christopher Marlowe gründlich auf die Nerven.
    Marlowe gegenüber zeigte sich Matthew nachsichtig und meist ein wenig gereizt. George und Tom gegenüber war er geduldig, und Henry begegnete er mit brüderlicher Zuneigung. Aber Raleigh war Matthew ebenbürtig – in Intelligenz, Macht, vielleicht auch Skrupellosigkeit –, und das bedeutete, dass für Matthew allein Walters Meinung zählte. Beide begegneten einander mit argwöhnischem Respekt, wie zwei Wölfe, die unter sich ausmachen, wer das Rudel führen soll.
    »Dann soll es so sein«, sagte Walter langsam und gab sich damit Matthew geschlagen.
    »So ist es.« Matthew stemmte seine Füße auf den Kaminrand.
    »Ihr hütet zu viele Geheimnisse und habt zu viele Feinde, um Euch eine Frau zu nehmen. Dennoch habt Ihr es getan.« Walter wirkte aufrichtig verwundert. »Man hat Euch schon oft vorgeworfen, Ihr würdet Euch allein auf Euren Scharfsinn verlassen. Nun denn, Matthew. Wenn Ihr wirklich so scharfsinnig seid, dann verratet uns doch, was wir sagen sollen, wenn man uns Fragen stellt.«
    Kits Kelch knallte auf den Tisch, und roter Wein spritzte über seine Hand. »Ihr könnt auf keinen Fall erwarten, dass wir …«
    »Still.« Walter warf Marlowe einen bitterbösen Blick zu. »In Anbetracht der Lügen, die wir Euretwegen erzählen, überrascht es mich, dass Ihr etwas zu sagen wagt. Sprecht, Matthew.«
    »Danke, Walter. Ihr seid die einzigen fünf Männer im gesamten Königreich, die mich möglicherweise nicht für irre halten werden, wenn sie hören, was ich zu erzählen habe.« Matthew pflügte sich mit der Hand durchs Haar.

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