Wo die Nacht beginnt
nichtmenschlichen Wesen.«
»Das Buch der Mysterien, das angeblich von unserer Erschaffung berichtet?« Kit schien das kaum glauben zu können. »Ihr habt Euch nie für diese Fabeln interessiert, Matthew. Im Gegenteil, Ihr habt sie immer als Aberglaube abgetan.«
»Inzwischen glaube ich sie, Kit. Denn seit Dianas Entdeckung lauern Feinde vor ihrer Tür.«
»Genau wie Ihr. Euretwegen konnten ihre Feinde den Riegel heben und eintreten.« Walter schüttelte den Kopf.
»Wieso sollte Matthews Aufmerksamkeit so schicksalsschwere Folgen nach sich ziehen?«, fragte George. Seine Finger tasteten das schwarzgerippte Seidenband ab, mit dem seine Augengläser an einem Knopfloch seines Wamses hingen. Das Wams war der Mode entsprechend über dem Bauch ausgestopft, und die Füllung raschelte bei jeder Bewegung wie ein Hafersack. George hob die runden Gläser vor seine Augen und musterte mich, als wäre ich ein interessantes neues Studienobjekt.
»Weil es Hexen und Wearhs nicht erlaubt ist zu heiraten«, antwortete Kit sofort. Das Wort Wearh mit dem zischenden W am Anfang und dem kehligen Schlusslaut hatte ich nie zuvor gehört.
»Genau wie Dämonen und Wearhs .« Walter drückte warnend die Hand auf Kits Schulter.
»Wirklich?« George blinzelte erst Matthew und dann mich an. »Verbietet die Königin eine solche Paarung?«
»Ein uralter Pakt zwischen den verschiedenen Wesen verbietet sie, ein Pakt, den niemand wagen würde zu brechen«, erklärte Tom verschüchtert. »Wer es dennoch tut, wird von der Kongregation zur Rechenschaft gezogen und bestraft.«
Nur Vampire, die so alt waren wie Matthew, konnten sich an Zeiten erinnern, bevor der Pakt geregelt hatte, wie die verschiedenen Kreaturen miteinander und mit den Menschen umzugehen hatten. »Keine Verbindungen zwischen den nichtmenschlichen Arten«, war die wichtigste Regel, deren Einhaltung die Kongregation überwachte. Wenn wir uns mischten, waren unsere Gaben – Kreativität, Stärke, übernatürliche Kräfte – nicht mehr zu verbergen. Dann würde die magische Macht einer Hexe die kreative Energie jedes Dämons in ihrer Nähe zusätzlich verstärken, und das Genie eines Dämons würde die Schönheit eines Vampirs noch unterstreichen. Im Umgang mit den Menschen sollten wir uns aber möglichst unauffällig verhalten und uns aus Politik und Religion heraushalten.
Erst heute Morgen hatte Matthew noch einmal betont, dass sich die Kongregation im sechzehnten Jahrhundert zu vielen anderen Problemen gegenübersah – den Religionskriegen, der Jagd auf Ketzer und dem ausgeprägten Hunger nach Neuem und Bizarrem, der durch die Erfindung der Druckerpresse beflügelt wurde –, als dass sich deren Mitglieder mit etwas so Profanem wie der Liebesbeziehung zwischen einer Hexe und einem Vampir befassen würden. Wenn ich daran dachte, wie viel Verstörendes und Gefährliches ich erlebt hatte, seit ich Matthew kennengelernt hatte, konnte ich das kaum glauben.
»Was für eine Kongregation?«, fragte George neugierig. »Handelt es sich dabei um eine neue religiöse Sekte?«
Walter überging die Frage seines Freundes und sah Matthew durchdringend an. Dann wandte er sich an mich. »Habt Ihr dieses Buch noch?«
»Niemand hat es. Es verschwand wieder in der Bibliothek. Die Hexen warten nur darauf, dass ich es erneut an mich nehme.«
»Ihr werdet also aus zwei Gründen gejagt. Einige wollen Euch von einem Wearh fernhalten, andere wollen das Buch und sehen in Euch ein Mittel zum Zweck.« Walter kniff sich in die Nasenwurzel und sah Matthew müde an. »Ihr seid ein wahrer Magnetstein, wenn es um Ärger geht, mein Freund. Und das alles hätte zu keinem ungeeigneteren Zeitpunkt geschehen können. In weniger als drei Wochen soll der Geburtstag der Königin gefeiert werden. Man erwartet Euch am Hof.«
»Diese Feier ist noch das geringste Übel! Mit einer Zeitspinnerin in unserer Mitte sind wir nicht sicher. Sie kann sehen, was das Schicksal für jeden von uns bereithält. Die Hexe könnte unsere Zukunft beeinflussen, uns Pech anhexen – oder sogar unseren Tod herbeizwingen.« Kit schoss aus seinem Stuhl hoch und baute sich vor Matthew auf. »Bei allem, was Euch heilig ist, wie konntet Ihr uns das antun?«
»Man könnte fast meinen, der Atheismus, den Ihr so hochhaltet, ließe Euch im Stich, Kit«, antwortete Matthew gleichmütig. »Fürchtet Ihr, dass Ihr doch noch für all Eure Sünden zur Rechenschaft gezogen werden könntet?«
»Ich glaube vielleicht nicht wie Ihr an eine wohlwollende,
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