Wo die Nacht beginnt
allmächtige Gottheit, aber es gibt in dieser Welt vieles, wovon Eure philosophischen Bücher nichts wissen. Und wir dürfen dieser Frau – dieser Hexe – keinesfalls erlauben, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen. Vielleicht hat sie Euch in ihren Bann gezogen, aber ich habe nicht die Absicht, auch meine Zukunft in ihre Hände zu legen!«, schoss Kit zurück.
»Einen Augenblick.« Auf Georges Gesicht zeichnete sich wachsendes Erstaunen ab. »Seid Ihr aus Chester zu uns gekommen, Matthew, oder …«
»Nein. Das solltet Ihr nicht beantworten, Matt«, erkannte Tom klarsichtig.
»Aber wenn Matt nicht …« George verstummte.
»Tom hat recht«, beschloss Walter grimmig. »Matthew ist unser Freund und hat uns um Hilfe ersucht. Er hat das, soweit ich mich entsinne, noch nie getan. Mehr müssen wir nicht wissen.«
»Er verlangt zu viel«, widersprach Kit.
»Zu viel? So wie ich es sehe, verlangt er nur wenig, und das erst spät. Matthew hat eines meiner Schiffe bezahlt, er hat Henrys Landgüter gerettet und es George und Tom lange Jahre ermöglicht, für ihre Bücher und Träume zu leben. Und was Euch angeht …« Walter begutachtete Marlowe vom Scheitel bis zur Sohle –, »alles in Euch und an Euch – von Euren Ideen über das Glas Wein in Eurer Hand bis zu Eurem Hut – habt Ihr Matthew Roydons Großherzigkeit zu verdanken. Seiner Gemahlin während dieses Sturmes einen sicheren Hafen zu gewähren ist verglichen damit eine Bagatelle.«
»Danke, Walter.« Matthew war sichtlich erleichtert, aber das Lächeln, das er mir schenkte, wirkte unbeholfen. Seine Freunde zu überzeugen – ganz besonders Walter – war schwieriger gewesen, als er erwartet hatte.
»Wir werden uns eine Mär überlegen müssen, mit der wir erklären, wie Eure Gemahlin hierherkam«, meinte Walter nachdenklich. »Etwas, das von ihrer Fremdartigkeit ablenkt.«
»Außerdem braucht Diana eine Lehrerin«, ergänzte Matthew.
»Dass ihr jemand Manieren beibringen muss, steht fest«, murrte Kit.
»Nein, sie braucht eine Hexenlehrerin«, korrigierte Matthew ihn.
Walter schnaubte amüsiert. »Ich bezweifle, dass es im Umkreis von zwanzig Meilen um Woodstock auch nur eine einzige Hexe gibt. Nicht seitdem Ihr hier lebt.«
»Und wie verhält es sich mit diesem Buch, Mistress Roydon?« Aus einer unsichtbaren Tasche in seiner ausgebeulten Hose zückte George einen spitzen, grauen Stift, der mit einer Schnur umwickelt war. Er leckte die Spitze des Stiftes an und hob ihn erwartungsvoll. »Könnt Ihr mir etwas über dessen Größe und Inhalt verraten? Dann werde ich in Oxford danach suchen.«
»Das Buch kann warten«, sagte ich. »Erst brauche ich etwas Richtiges anzuziehen. In Pierres Jacke und dem Rock, den Matthews Schwester zu Jane Seymours Begräbnis trug, kann ich unmöglich aus dem Haus gehen.«
»Aus dem Haus gehen?«, schnaubte Kit. »Was für ein absoluter Irrsinn.«
»Kit hat recht«, meinte George bedauernd und schrieb etwas in sein Buch. »So wie Ihr sprecht, erkennt man sogleich, dass Ihr kein Kind Englands seid. Ich würde Euch mit größtem Vergnügen unterrichten, Mistress Roydon.« Bei der Vorstellung, dass George Chapman den Professor Higgins für mich Eliza Doolittle geben würde, schaute ich automatisch sehnsüchtig zur Tür.
»Sie sollte überhaupt nicht sprechen dürfen, Matt. Ihr müsst dafür Sorge tragen, dass sie stumm bleibt«, beschwor ihn Kit.
»Was wir brauchen, ist eine Frau, die Diana unterweist. Warum hat keiner von euch fünfen auch nur eine einzige Tochter oder Ehefrau oder Geliebte?«, wollte Matthew wissen. Tiefes Schweigen antwortete ihm.
»Walter?« Auf Kits spitze Frage hin brachen die Übrigen in lautes Gelächter aus, und die bedrückte Atmosphäre hellte sich auf, so als wäre ein Sommergewitter durch das Haus geweht. Selbst Matthew stimmte in das Gelächter ein.
Gerade als das Lachen verebbte, trat Pierre ein und verschob bei jedem Schritt die Rosmarin- und Lavendelzweige zwischen den Binsen, die überall ausgestreut worden waren, damit keine Feuchtigkeit ins Haus getragen wurde. Im selben Moment begannen die Glocken zwölf zu schlagen. Genau wie der Anblick der Quitten versetzte mich die Kombination von Geräuschen und Gerüchen nach Madison.
Unversehens prallten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufeinander. Statt sich in einer langsamen Bewegung zu entfalten, stand die Zeit einen Moment still, so als hätte jemand sie angehalten. Mir stockte der Atem.
»Diana?« Matthew nahm mich am
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