Wo die Nacht beginnt
Überredungskunst.«
»Das nehme ich doch an.« Wieder kam Walter Raleighs durchdringender Blick auf mir zu liegen. »Eine Schande, dass sie an einen Kaltblüter verschwendet wurde. Ich hätte keinen Moment gezögert.«
»Diana weiß um mein Wesen und stört sich nicht an meiner Kälte, wie Ihr es nennt. Außerdem war sie diejenige, die überredet werden musste. Ich hatte mich gleich auf den ersten Blick in sie verliebt«, sagte Matthew.
Walter schnaubte nur.
»Gebt Euch nicht so bärbeißig, alter Freund. Auch Euch könnte Cupidos Pfeil noch treffen.« Matthews graue Augen blitzten gut gelaunt, denn er wusste genau, was die Zukunft für Raleigh bereithielt.
»Cupido muss warten. Im Moment bin ich ganz damit beschäftigt, die unfreundlichen Avancen der Königin und ihres Admirals abzuwehren.« Walter warf seinen Hut lässig auf einen der anderen Tische, wo er über die glänzende Oberfläche eines Backgammon-Spieles schlitterte und die Steine durcheinanderschob. Stöhnend ließ er sich neben Henry in einen Stuhl fallen. »So wie es aussieht, will jeder an meinem Profit teilhaben, aber niemand will mir auch nur den kleinen Finger reichen, während diese Sache mit der Kolonie wie ein Damoklesschwert über mir hängt. Die Idee für die diesjährige Geburtstagsfeier stammt von mir, trotzdem hat dieses Weibsbild nicht mich, sondern Cumberland mit der Organisation der Zeremonie betraut.« Sofort brauste er wieder auf.
»Noch immer keine Neuigkeiten aus Roanoke?«, fragte Henry freundlich und reichte Walter dabei einen Krug mit dickflüssigem, braunem Bier. Mein Magen krampfte sich zusammen, als das Gespräch auf Raleighs zum Scheitern verurteilte Unternehmungen in der Neuen Welt kam. Es war das erste Mal, dass sich jemand laut Gedanken über den Ausgang eines zukünftigen Ereignisses machte, während ich ihn doch kannte, und es würde bestimmt nicht das letzte Mal sein.
»White traf letzte Woche in Plymouth ein, heimgetrieben vom üblen Wetter. Die Suche nach seiner Tochter und Enkeltochter musste er aufgeben.« Walter nahm einen tiefen Schluck und starrte ins Leere. »Weiß der Himmel, was aus ihnen allen wurde.«
»Sobald es Frühling wird, könnt Ihr zurückkehren und werdet sie finden.« Henry klang überzeugt, aber Matthew und ich wussten, dass die vermissten Siedler von Roanoke nie gefunden würden und dass Raleigh nie wieder den Boden North Carolinas betreten sollte.
»Ich bete, dass Ihr recht habt, Hal. Aber genug von meinen Sorgen. Aus welchem Teil des Landes stammt Ihr, Mistress Roydon?«
»Cambridge«, antwortete ich leise und gleichzeitig so knapp und wahrheitsgetreu wie möglich. Zwar lag mein Heimatort in Massachusetts und nicht in England, aber wenn ich jetzt anfing, mir eine neue Vergangenheit auszudenken, würde ich mir meine Geschichten nie merken können.
»Ihr seid also die Tochter eines Gelehrten. Oder war Euer Vater gar Theologe? Matt würde es genießen, jemanden zu haben, mit dem er über Glaubensfragen disputieren kann. Abgesehen von Hal sind seine Freunde hoffnungslos, wenn es um Fragen der rechten Lehre geht.« Walter nahm wieder einen Schluck Bier und wartete ab.
»Dianas Vater starb, als sie noch sehr jung war.« Matthew nahm meine Hand.
»Das tut mir für Euch leid, Diana. Der Verlust eines V-V-Vaters ist ein schrecklicher Schlag«, murmelte Henry.
»Und hat Euer erster Gemahl Euch zum Trost Söhne und Töchter hinterlassen?« Etwas wie Mitgefühl stahl sich in Walters Stimme.
Im sechzehnten Jahrhundert wäre eine Frau meines Alters mit Sicherheit bereits verheiratet gewesen und hätte drei oder vier Kinder. Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
Walter runzelte die Stirn, aber bevor er die Sache vertiefen konnte, betrat Kit den Raum, dicht gefolgt von George und Tom.
»Endlich. Ihr müsst ihn zur Vernunft bringen, Walter. Matthew darf nicht länger den Odysseus zu dieser Circe spielen.« Kit griff nach dem Kelch, der vor Henry stand. »Einen guten Tag, Hal.«
»Wen muss ich zur Vernunft bringen?«, fragte Walter unfreundlich.
»Matt natürlich. Die Frau ist eine Hexe. Und etwas an ihr ist faul.« Kit sah mich mit schmalen Augen an. »Sie verbirgt etwas.«
»Eine Hexe«, wiederholte Walter bedächtig.
Eine Magd, die eben einen Arm voll Brennholz anschleppte, erstarrte in der Tür.
»Wie gesagt«, bekräftigte Kit nickend, »Tom und ich haben die Zeichen sofort erkannt.«
Die Magd ließ das Holz in den bereitstehenden Korb fallen und huschte aus dem Zimmer.
»Für einen
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt