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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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vorstehenden Schläfenknochen, und durch die schiefergraue Iris zogen sich blaue, grüne und braune Splitter.
    Die Augen waren das Einzige an dem Vampir, was überhaupt Farbe hatte. Ansonsten war er unnatürlich bleich, das weißblonde Haar war fast bis zum Schädel geschoren, seine Brauen und Wimpern waren praktisch unsichtbar und die Lippen nur ein horizontaler Schlitz in seinem glattrasierten Gesicht. Sein langer schwarzer Umhang, eine Kreuzung zwischen dem Talar eines Gelehrten und dem Ornat eines Geistlichen, unterstrich seine kadaverdürre Gestalt. Seine breiten, leicht vorgebeugten Schultern strahlten Stärke aus, aber ansonsten war er mehr oder weniger ein Skelett.
    In einer blitzschnellen Bewegung hatten stumpfe, kräftige Finger mein Kinn gepackt und meinen Kopf zur Seite gedreht. Im selben Moment hatte Matthews Hand das Handgelenk des Vampirs umklammert.
    Hubbards eisiger Blick glitt an meinem Hals abwärts und blieb kurz auf der Narbe daran liegen. Ausnahmsweise wünschte ich mir, Françoise hätte mich mit der dicksten Halskrause ausstaffiert, die sie überhaupt finden konnte. Der Vampir atmete einen eisigen, nach Zinnober und Kiefer riechenden Luftstrom aus, dann spannte sich sein breiter Mund an, bis die Lippenränder nicht mehr pfirsichhell, sondern weiß leuchteten.
    »Wir haben da ein Problem, Master Roydon«, sagte Hubbard.
    »Wir haben derer mehrere, Vater Hubbard. Das erste ist, dass Ihr Hand an etwas gelegt habt, das mir gehört. Wenn Ihr sie nicht wegnehmt, werde ich noch vor Sonnenaufgang die ganze Höhle in Trümmer legen. Und was danach geschieht, wird jede Kreatur in der Stadt – ob Dämon, Mensch, Wearh oder Hexe – glauben lassen, das Jüngste Gericht wäre über uns gekommen.« Matthews Stimme bebte vor Zorn.
    Kreaturen traten aus den Schatten. Ich entdeckte John Chandler, den Apotheker aus Cripplegate, der mich trotzig ansah. Kit war ebenfalls hier und stand neben einem weiteren Dämon. Als der Freund sich bei ihm einhaken wollte, wich Kit kaum merklich zur Seite.
    »Hallo, Kit.« Matthews Stimme klang wie tot. »Ich hätte gedacht, Ihr wärt längst geflüchtet und hättet Euch irgendwo versteckt.«
    Hubbard hielt mein Kinn noch ein paar Sekunden fest und drehte meinen Kopf dabei wieder zurück, bis ich ihn ansehen musste. Offenbar war mir der Zorn auf Kit und den Hexer, der uns verraten hatte, anzusehen, denn er schüttelte warnend den Kopf.
    »Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen« , murmelte er und gab mich frei. Hubbards Blick wanderte einmal durch den ganzen Raum. »Lasst uns allein.«
    Matthew umfasste mein Gesicht und strich mit den Fingern über mein Kinn, um Hubbards Duft wegzuwischen. »Geh mit Gallowglass. Wir sehen uns gleich.«
    »Sie bleibt«, sagte Hubbard.
    Matthews Kiefer zuckte. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm widersprach. Nach einer beträchtlichen Pause befahl er seinen Freunden und Verwandten, draußen zu warten. Hancock war der Einzige, der dem Befehl nicht sofort nachkam.
    »Euer Vater sagt gern, ein Weiser könne vom Grund eines Brunnens aus mehr sehen als ein Narr von einem Berggipfel. Hoffen wir, dass er recht hat«, murmelte Hancock. »Denn heute habt Ihr uns in ein wahres Höllenloch geführt.« Nach einem letzten Blick auf Matthew folgte er Gallowglass und Pierre durch einen Durchlass in der Mauer. Eine schwere Tür schloss sich, dann wurde es still.
    Wir drei standen so dicht beieinander, dass ich hören konnte, wie die Luft leise aus Matthews Lunge wich. Und ich fragte mich gleichzeitig, ob die Pest noch mehr bei Hubbard angerichtet hatte, als ihn nur zum Wahnsinn zu treiben. Seine Haut war eher wächsern als porzellanglatt, so als litte er immer noch unter den Nachwirkungen der Krankheit.
    »Darf ich Euch, Monsieur de Clermont, daran erinnern, dass Ihr hier nur von mir geduldet seid?« Hubbard setzte sich auf einen prachtvollen Stuhl, den einzigen im Raum. »Selbst wenn Ihr für die Kongregation steht, gestatte ich Eure Anwesenheit in London nur, weil Euer Vater sie von Euch verlangt. Zum Dank dafür habt Ihr unsere Bräuche missachtet und Euer Weib in die Stadt gebracht, ohne sie mir und meiner Herde vorzustellen. Und dann wäre da noch die Sache mit Euren Rittern.«
    »Die meisten Ritter, die mich begleitet haben, leben schon länger in dieser Stadt als Ihr, Andrew. Als Ihr darauf bestandet, dass sie Eurer ›Herde‹ beitreten oder die Stadt verlassen sollten, haben sie sich außerhalb der Mauern niedergelassen. Ihr seid mit

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