Wo die Nacht beginnt
uns eigentlich an Hubbard anschleichen. Bei dem Lärm, den Ihr macht, hätten wir auch mit Pauken und Trompeten anmarschieren können.«
Gallowglass wandte sich wieder dem Heck zu und zog zweimal kräftig den linken Riemen durch. Nach ein paar weiteren Schlägen hielten wir am Landesteg – der nur aus ein paar klapprigen Stufen über ein paar windschiefen Pfosten bestand –, wo mehrere Männer warteten. Der Fährmann schickte sie mit ein paar knappen Worten fort und sprang bei der ersten Gelegenheit aus dem Boot.
Wir stiegen die Stufen zur Straße hinauf und marschierten dann schweigend durch die gewundenen Gassen, schlichen zwischen Häusern hindurch und stahlen uns durch winzige Gärten. Die Vampire bewegten sich verstohlen wie Katzen. Ich war nicht so trittsicher, stolperte hin und wieder über lockere Pflastersteine oder tappte in wassergefüllte Schlaglöcher. Schließlich gelangten wir auf eine breite Straße. Vom anderen Ende her war Gelächter zu hören, und aus breiten Fenstern strömte Licht auf die Straße. Ich rubbelte meine Hände und sehnte mich nach Wärme. Vielleicht war das unser Ziel. Vielleicht würden sich alle Probleme in Luft auflösen, wir würden Andrew Hubbard gegenübertreten, ihm meinen Ehering zeigen und wieder heimkehren.
Stattdessen führte Matthew uns über die Straße auf einen verlassenen Friedhof, dessen Grabsteine sich aneinanderlehnten, als suchten die Toten beieinander Trost. Pierre zog einen großen Ring voller Schlüssel heraus, und Gallowglass schob einen davon in das Schloss der Tür neben dem Glockenturm. Wir passierten das baufällige Kirchenschiff und traten dann durch eine kleine Holztür links vom Altar. Schmale Stufen senkten sich in die Dunkelheit hinab. Mir als Warmblüterin war es mit meiner eingeschränkten Sicht unmöglich, die Orientierung zu behalten, zumal wir uns durch zahllose schmale Gänge schlängelten und schlichen und dann wieder weite Gewölbe durchquerten, in denen es nach Wein, Moder und Fäulnis roch. Ich fühlte mich in eine jener Gruselgeschichten versetzt, die verbreitet worden waren, um die Menschen davon abzubringen, in Kirchenkellern oder auf Friedhöfen herumzulungern.
Immer tiefer drangen wir in das Gewirr von Gängen und unterirdischen Räumen vor, bis wir schließlich eine schwach erleuchtete Krypta betraten. Leere Augen starrten uns aus in einem kleinen Ossarium aufgestapelten Totenköpfen an. Das leise Beben im Steinboden und der gedämpfte Glockenschlag verrieten mir, dass irgendwo über uns die Glocken sieben Uhr schlugen. Matthew drängte uns in den nächsten Tunnel, an dessen anderem Ende ein schwaches Licht leuchtete.
In dem Keller, in welchen wir von dort aus gelangten, wurde Wein gelagert, der von den Themseschiffen geliefert wurde. Ein paar Fässer standen aufgereiht an der Wand, und der Duft frischer Sägespäne wetteiferte mit dem schweren Aroma des alten Weines. Dann entdeckte ich die Quelle der anderen Gerüche: säuberlich aufgestapelte Särge, der Größe nach angeordnet, angefangen von riesigen Kisten, in denen Gallowglass Platz gefunden hätte, bis hin zu winzigen Behältern für Säuglinge. In den Ecken bewegten sich flackernde Schatten, und im Zentrum des Gewölbes fand inmitten einer Schar von nichtmenschlichen Kreaturen eine Art Ritual statt.
»Mein Blut sei Euer, Vater Hubbard.« Der Mann, der das sagte, klang eindeutig verängstigt. »Ich gebe es mit Freuden, damit Ihr mein Herz kennet und mich unter Eure Familie zählet.« Es wurde still, gleich darauf schrie jemand vor Schmerz. Dann lag angespannte Erwartung in der Luft.
»Ich nehme deine Gabe an, James, und gelobe, dich als mein Kind zu beschützen«, antwortete eine raue Stimme. »Dafür sollst du mich als deinen Vater ehren. Nun grüße deine Brüder und Schwestern.«
Unter dem allgemeinen Gemurmel spürte ich eisige Kälte auf meiner Haut.
»Ihr kommt spät.« Die Grabesstimme durchschnitt das allgemeine Gemurmel und jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. »Und Ihr reist mit Eurem ganzen Hofstaat an, wie ich sehe.«
»Wir hatten keinen Zeitpunkt vereinbart.« Matthew hielt meinen Ellbogen, während zahllose Blicke meine Haut zum Kribbeln brachten, sie kühlten oder drückten.
Weiche Schritte näherten sich mir, umkreisten mich. Ein großer, dünner Mann stand vor mir. Ich stellte mich, ohne zu zwinkern, seinem Blick, denn mir war klar, dass ich einem Vampir gegenüber keinesfalls Angst zeigen durfte. Hubbards Augen lagen tief unter den
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