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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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vereinnahmende Geste im Moment nicht ertragen hätte.
    »Vater Hubbard?«, erinnerte ich ihn. Aber Matthew war in Gedanken woanders.
    »Du wirst dich noch umbringen«, erklärte er rau, immer noch mit dem Rücken zu mir. »Ysabeau hat mich gewarnt, du hättest keinen Selbsterhaltungstrieb. Wie oft muss so etwas passieren, damit du endlich einen entwickelst?«
    »Was habe ich jetzt schon wieder angestellt?«
    »Du wolltest gesehen werden, Diana«, erklärte er barsch. »Und man hat dich gesehen.«
    »Hör auf, aus dem Fenster zu starren. Ich habe keine Lust, mich mit deinem Hinterkopf zu unterhalten.« Äußerlich bewahrte ich Ruhe, dabei wäre ich ihm am liebsten an die Kehle gegangen. »Wer ist Vater Hubbard?«
    »Andrew Hubbard ist ein Vampir. Und er herrscht über London.«
    »Was soll das heißen, er herrscht über London? Gehorchen ihm alle Vampire in der Stadt?« Im 21. Jahrhundert waren die Londoner Vampire berüchtigt für ihr ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrem Rudel, für ihre nächtlichen Rituale und ihre Loyalität – so hatte ich es zumindest von anderen Hexen gehört. Sie waren vielleicht nicht so extravagant wie die Vampire in Paris, Venedig oder Istanbul und nicht so blutdurstig wie die in Moskau, New York oder Peking, aber die Londoner Vampire waren ein gut organisierter Clan.
    »Nicht nur die Vampire. Sondern auch die Hexen und Dämonen.« Matthew drehte sich mit kaltem Blick zu mir um. »Andrew Hubbard ist ein früherer Priester mit erbärmlicher Ausbildung und gerade genug theologischen Kenntnissen, um Ärger zu machen. Er wurde zum Vampir, als die Pest London zum ersten Mal heimsuchte. Bis 1349 hatte sie fast die halbe Stadt ausgelöscht. Hubbard überlebte die erste Welle der Epidemie, während der er die Kranken versorgt und die Toten beerdigt hatte, aber irgendwann fiel auch er der Krankheit zum Opfer.«
    »Und jemand rettete ihn, indem er ihn zum Vampir machte.«
    »Ja, obwohl ich nie herausfinden konnte, wer das war. Es gibt zahllose Legenden, in denen allerdings meist eine fast göttliche Wiederauferstehung beschrieben wird. Als er überzeugt war, dass er sterben würde, hob er angeblich ein Grab auf dem Friedhof aus und legte sich hinein, um auf Gott zu warten. Stunden später erhob sich Hubbard wieder und wandelte weiter unter den Lebenden.« Matthew atmete tief durch. »Ich glaube, seither ist er nicht mehr ganz bei Vernunft. Er sammelt verlorene Seelen ein. Damals waren sie nicht zu zählen. Er nahm alle bei sich auf – Waisen, Witwen, Männer, die in einer einzigen Woche ihre gesamte Familie verloren hatten. Jene, die erkrankten, machte er zu Vampiren, taufte sie neu und sorgte dafür, dass sie ein Heim, Essen und Arbeit fanden. Hubbard betrachtet sie als seine Kinder.«
    »Selbst die Hexen und Dämonen?«
    »Ja«, bestätigte Matthew angespannt. »Er unterzieht sie einem Adoptionsritual, aber das hat nichts mit dem zu tun, das Philippe mit dir durchgeführt hat. Hubbard kostet ihr Blut. Er behauptet, auf diese Weise würden sich ihm ihre Seelen öffnen, was beweise, dass Gott sie seiner Obhut anvertraut habe.«
    »Und es verrät ihm ihre Geheimnisse«, sagte ich gedehnt.
    Matthew nickte. Kein Wunder, dass er mich nicht in die Nähe von Vater Hubbard lassen wollte. Falls ein Vampir mein Blut kostete, würde er von dem Baby erfahren – und wissen, wer der Vater war.
    »Philippe und Hubbard haben eine Vereinbarung getroffen, derzufolge die de Clermonts seinen Ritualen und Verpflichtungen enthoben sind. Wahrscheinlich hätte ich ihm vor unserer Ankunft in London erklären sollen, dass du meine Frau bist.«
    »Aber du hast es vorgezogen, das nicht zu tun«, ergänzte ich vorsichtig, die Hände fest verschränkt. Jetzt war mir klar, warum Gallowglass darauf gedrängt hatte, dass wir an einer anderen Stelle und nicht am Fuß der Water Lane anlegen sollten. Philippe hatte recht. Manchmal benahm sich Matthew wie ein Idiot – oder wie der arroganteste Kerl unter der Sonne.
    »Hubbard lässt mich in Ruhe und ich ihn. Sobald er weiß, dass du eine de Clermont bist, wird er auch dich in Ruhe lassen.« Matthew entdeckte etwas auf der Straße. »Gott sei Dank.« Schwere Schritte polterten die Treppe herauf, und gleich darauf standen Gallowglass und Hancock in unserem Salon. »Ihr habt euch reichlich Zeit gelassen.«
    »Dir auch einen schönen Tag, Matthew«, erwiderte Gallowglass. »Hubbard hat dich also endlich zur Audienz einbestellt. Und du solltest nicht einmal einen Gedanken daran

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