Wo die Nacht beginnt
ich es, aber das hilft mir nicht.«
»Eines Tages wird es dir helfen«, versprach Matthew und legte sich zu mir unter die Decke. Er schloss die Arme um mich, und wir schmiegten, beim anderen Halt suchend, unsere Körper aneinander. Die Kette tief in meinem Inneren, die ich irgendwie aus Liebe und Sehnsucht nach jemandem, den ich damals noch nicht kannte, geschmiedet hatte, begann sich zu bewegen und biegsam zu werden. Sie war fest und unzerbrechlich und mit einem lebensspendenden Saft erfüllt, der ununterbrochen zwischen Hexe und Vampir und Vampir und Hexe zirkulierte. Bald fühlte ich mich nicht mehr zwischen allen Stühlen, sondern endlich glückselig geerdet. Ich atmete einmal, zweimal tief aus. Als ich mich zu lösen versuchte, hielt Matthew mich fest.
»Ich will dich noch nicht gehen lassen«, sagte er und zog mich fester an seine Brust.
»Du hast bestimmt viel zu erledigen – für die Kongregation, Philippe, Elisabeth. Es geht mir gut, Matthew«, beharrte ich, obwohl ich so lange wie möglich genau dort bleiben wollte, wo ich war.
»Vampire empfinden die Zeit anders als Warmblüter«, sagte er, ohne mich loszulassen.
»Wie lange ist denn eine Vampirminute?«, fragte ich und kuschelte mich unter sein Kinn.
»Schwer zu sagen«, murmelte Matthew. »Irgendwas zwischen einer gewöhnlichen Minute und der Ewigkeit.«
22
D ie sechsundzwanzig mächtigsten Hexen von London zu befragen war komplizierter als gedacht. Die Rede versammelte sich nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte – in einem Saal wie im Gericht, wo die Hexen in ordentlichen Reihen saßen und ich ihnen Rede und Antwort stehen musste. Stattdessen vollzog sich die Befragung über mehrere Tage hinweg in verschiedenen Läden, Schenken und Salons in ganz London. Niemand wurde mir offiziell vorgestellt, auch mit anderen Höflichkeiten wurde keine Zeit vergeudet. Ich begegnete so vielen fremden Hexen, dass ich sie schon bald nicht mehr auseinanderhalten konnte.
Einige Augenblicke blieben allerdings herausgehoben. Zum ersten Mal spürte ich unzweifelhaft die Kraft einer Feuerhexe. Goody Alsop hatte mich nicht angeschwindelt – Blick und Berührung der rothaarigen Hexe brannten vor Intensität. Obwohl die Flammen in meinem Blut hüpften und tanzten, sobald sie in meiner Nähe war, war ich doch ganz eindeutig keine Feuerhexe. Das bestätigte sich, als ich in einem Hinterzimmer des Mitre, einer Schenke in Bishopsgate, zwei weiteren Feuerhexen begegnete.
»Das wird eine Herausforderung«, bemerkte die eine, nachdem sie meine Haut gelesen hatte.
»Eine zeitspinnende Weberin mit reichlich Wasser und Feuer im Blut«, pflichtete die andere ihr bei. »Keine Verbindung, die ich je zu sehen erwartet hätte.«
Die Windhexen der Rede versammelten sich in Goody Alsops Haus, das innen geräumiger war, als das bescheidene Äußere vermuten ließ. Zwei Geister wanderten durch den Raum, genau wie Goody Alsops Schatten, der die Gäste an der Tür empfing und ansonsten lautlos seine Runden zog, um sich zu überzeugen, dass alle bequem saßen.
Die Windhexen waren weniger beängstigend als die Feuerhexen, ihre Finger lagen leicht und trocken auf meiner Haut, während sie still meine Stärken und Schwächen prüften.
»Ein stürmisches Weib«, murmelte eine silberhaarige Hexe von etwa fünfzig Jahren. Sie war zierlich und klein und bewegte sich so schnell, als wirke die Schwerkraft bei ihr weniger als bei allen anderen.
»Zu starke Ausrichtung«, meinte eine zweite stirnrunzelnd. »Sie muss lernen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, sonst steigert sich jeder Luftzug, den sie erzeugt, zu einem ausgewachsenen Wirbelsturm.«
Goody Alsop nahm ihre Kommentare dankend zur Kenntnis, trotzdem wirkte sie erleichtert, als alle gegangen waren.
»Ich muss mich jetzt ausruhen, Kind«, sagte sie schwach, erhob sich aus ihrem Stuhl und wackelte in ein Hinterzimmer. Ihr lebender Schatten zockelte ihr hinterher.
»Gibt es auch Männer in der Rede, Goody Alsop?«, fragte ich, holte sie ein und stützte die alte Hexe am Ellbogen.
»Inzwischen sind nur noch eine Handvoll geblieben. Alle jungen Hexenmeister sind an die Universität gegangen, um Naturphilosophie zu studieren«, antwortete sie seufzend. »Dies sind merkwürdige Zeiten, Diana. Jeder sucht wie besessen nach Neuem, selbst die Hexen glauben, dass sie aus Büchern mehr lernen können als aus der Erfahrung. Ich lasse Euch jetzt allein. Mir klingeln nach all dem Gerede die Ohren.«
Am Donnerstagmorgen erschien eine einsame
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