Wo die Nacht beginnt
nicht zueinander, sondern wurden von verschiedenen Pflanzen zusammengesammelt.«
»Und was hältst du hiervon?«, fragte ich, als den Pflanzenbildern astrologische Reigen folgten. Ich studierte die Inschrift in der Mitte. Komisch. Ich hatte dieses Manuskript schon oft gesehen und mich nie für die Beschriftungen interessiert.
»Diese Beschreibungen sind in altem Okzitanisch geschrieben«, sagte Matthew leise. »Ich kannte jemanden mit einer ganz ähnlichen Handschrift. Habt Ihr während Eures Aufenthalts am kaiserlichen Hof zufällig einen Edelmann aus Aurillac getroffen?«
Meinte er etwa Gerbert? Meine Begeisterung schlug in Angst um. Hatte Gerbert das Voynich -Manuskript irrtümlich für das mysteriöse Buch der Ursprünge gehalten? Sobald ich mir diese Frage stellte, begann die Handschrift in der Mitte des astrologischen Diagramms zu beben. Ich klappte das Buch zu, damit sie nicht von der Seite tanzen konnte.
»Nein, Master Roydon«, antwortete Dee stirnrunzelnd. »In diesem Fall hätte ich ihn nach dem berühmten Magier aus seiner Heimat gefragt, der zum Papst gekrönt wurde. In den alten Geschichten, die man sich am Kamin erzählt, verstecken sich viele Wahrheiten.«
»Ja«, pflichtete Matthew ihm bei, »man muss sie nur erkennen.«
»Darum bedauere ich den Verlust meines Buches so sehr. Es gehörte einst Roger Bacon, und die Frau, die es mir verkaufte, erzählte, er habe es wegen der göttlichen Wahrheiten, die es enthielt, sehr geschätzt. Bacon nannte es das Verum Secretum Secretorum.« Dee sah traurig auf das Voynich -Manuskript. »Es ist mein sehnlichster Wunsch, es wiederzubekommen.«
»Vielleicht kann ich Euch dabei helfen«, sagte Matthew.
»Ihr, Master Roydon?«
»Wenn Ihr mir erlaubt, dieses Buch mitzunehmen, könnte ich versuchen, es an jenen Ort zurückzubringen, an den es gehört – und dafür Euer Buch dem rechtmäßigen Eigentümer zurückerstatten.« Matthew zog das Manuskript zu sich her.
»Damit stünde ich auf ewig in Eurer Schuld, Sir«, sagte Dee.
Sobald wir vom öffentlichen Landesteg in Mortlake abgelegt hatten, begann ich Matthew mit Vorwürfen zu bombardieren.
»Was denkst du dir nur dabei, Matthew? Du kannst nicht einfach das Voynich -Manuskript einstecken und es Rudolf zurückschicken, begleitet von einem Brief, in dem du ihn beschuldigst, falsches Spiel getrieben zu haben. Du wirst jemanden finden müssen, der verrückt genug ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen und in Rudolfs Bibliothek einzubrechen, um Ashmole 782 zu stehlen.«
»Wenn Rudolf das Manuskript tatsächlich hat, dann bestimmt nicht in seiner Bibliothek. Sondern in seinem Kuriositätenkabinett«, sagte Matthew, den Blick gedankenverloren aufs Wasser gerichtet.
»Dieses … Voynich war also nicht das Buch, das Ihr sucht?« Henry hatte unserem Austausch mit höflichem Interesse gelauscht. »George ist bestimmt schrecklich enttäuscht, dass er das Geheimnis nicht gelüftet hat.«
»George hat es vielleicht nicht gelüftet, Hal, aber er hat die Angelegenheit deutlich erhellt«, sagte Matthew. »Zusammen mit den Agenten meines Vaters und meinen eigenen werden wir Dees verlorenes Buch bestimmt wiederbeschaffen.«
Die in Richtung Stadt fließenden Gezeiten beschleunigten die Rückkehr sichtlich. Am Landesteg vor der Water Lane hatte man in Erwartung unserer Ankunft Laternen angezündet, aber zwei Männer in der Livree der Countess of Pembroke winkten uns weiter.
»Nach Baynard’s Castle, wenn’s beliebt, Master Roydon!«, rief einer übers Wasser.
»Da ist etwas passiert«, sagte Matthew, der im Bug der Barke stand. Henry wies die Ruderer an, weiter flussabwärts zum Landesteg der Gräfin zu fahren, wo ebenfalls Laternen und Strahler leuchteten.
»Ist etwas mit einem der Jungen?«, fragte ich Mary, als sie durch die Eingangshalle auf uns zugeeilt kam.
»Nein. Denen geht es gut. Kommt mit mir ins Labor. Sofort«, rief sie mir über die Schulter zu und eilte schon zurück in Richtung Turm.
Der Anblick, der sich uns dort bot, ließ Matthew und mich erstarren.
»Es ist ein völlig unerwartetes Ergebnis«, erklärte Mary und ging in die Hocke, bis sie auf Augenhöhe mit der Wölbung am Boden des Glaskolbens war, über die sich die Wurzeln eines schwarzen Baumes zogen. Der Baum sah kein bisschen aus wie der erste Arbor Dianae , der ganz und gar silbern und viel feingliedriger gewesen war. Dieses Gewächs erinnerte mich mit dem knorrigen, dunklen Stamm und den nackten Zweigen an die Eiche in Madison, die uns
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