Wo die Nacht beginnt
Wertschätzung als er selbst!«, beschwerte sich Jane mürrisch. »Es hat uns Unsummen gekostet, den Kaiser zu besuchen, dabei haben wir so viele Mäuler zu stopfen. Die Königin sagte, sie würde uns helfen. Eine kleine Entschädigung hat sie uns bereits zukommen lassen, aber sie hatte uns noch mehr versprochen.«
»Bestimmt wurde sie durch dringendere Angelegenheiten abgelenkt.« Matthew hielt einen kleinen, schweren Beutel in den Händen. »Ich habe die Restsumme ihres Geschenks dabei. Und ich schätze nicht nur die Bibliothek Eures Gemahls, Mistress Dee, sondern auch ihn selbst. Ich habe die Gabe Ihrer Majestät noch aufgestockt, um ihn für die Unannehmlichkeiten zu entschädigen, die ihm unseretwegen entstehen.«
»Ich … ich danke Euch, Master Roydon«, stammelte Dee und warf seiner Frau einen vielsagenden Blick zu. »Es ist sehr gütig von Euch, die Geschäfte der Königin zu besorgen. Natürlich haben Staatsangelegenheiten stets Vorrang vor unseren persönlichen Problemen.«
»Ihre Majestät vergisst nicht, wer ihr gute Dienste geleistet hat«, sagte Matthew. Das war zwar eine dreiste Lüge, wie jeder in dem verschneiten Garten wusste, aber niemand wollte ihm widersprechen.
»Ihr müsst Euch am Kamin wärmen.« Schlagartig zeigte sich Jane wesentlich gastfreundlicher. »Ich werde Euch Wein bringen und dafür sorgen, dass Ihr nicht gestört werdet.« Sie knickste kurz vor Henry, noch tiefer vor Matthew und wackelte dann zur Tür zurück. »Komm ins Haus, John. Wenn du sie noch länger im Garten stehen lässt, frieren sie irgendwann fest.«
Nach zwanzig Minuten im Haus der Dees war mir klar, dass Hausherr und Hausfrau zu jener eigenartigen Gattung von Ehepaaren gehörten, die sich ständig wegen eingebildeter Beleidigungen und Kränkungen zankten und die einander gleichzeitig tief ergeben waren. Sie traktierten sich fortwährend mit bösen Seitenhieben, während wir die neuen Wandteppiche bewunderten (ein Geschenk von Lady Walsingham), den neuen Weinkrug (ein Geschenk von Sir Christopher Hatton) und das neue silberne Salzfass (ein Geschenk der Marchioness of Northampton). Nachdem wir alle protzigen Geschenke und alle Beschimpfungen über uns hatten ergehen lassen, wurden wir – endlich – in die Bibliothek geführt.
»Hier kriege ich dich nie wieder raus«, flüsterte Matthew und grinste über meine fassungslose Miene.
John Dees Bibliothek entsprach in keiner Weise meinen Vorstellungen. Aus Gründen, die mir nun völlig abwegig erschienen, hatte ich mir eine Art geräumiger Privatbibliothek vorgestellt, wie sie einem vermögenden Edelmann des neunzehnten Jahrhunderts hätte gehören können. Dies hier war kein vornehmes Refugium, in dem Pfeife rauchend am Kamin geschmökert wurde. Der nur von Kerzen erhellte Raum war an diesem Wintertag überraschend düster. Nur ein paar Stühle und ein langgezogener Tisch erwarteten die Leser vor den Südfenstern. An sämtlichen Wänden hingen Weltkarten, Himmelskarten, anatomische Diagramme und jene großen Almanachblätter, die man für ein paar Pennys bei jedem Londoner Apotheker und Buchhändler erstehen konnte. Jahrzehnte davon waren hier ausgestellt, wohl weil sie als Referenz dienten, wenn Dee ein Horoskop erstellte oder andere Sternenberechnungen vornahm.
Dee besaß mehr Bücher als jedes College in Oxford oder Cambridge, und er arbeitete in seiner Bibliothek – statt sie nur zu präsentieren. Darum legte er, wenig überraschend, kaum Wert auf Licht und Arbeitsplätze, sondern vor allem auf möglichst viele Regale. Um den vorhandenen Platz bestmöglich zu nutzen, standen die Regale frei im Raum. Die schlichten Eichenbretter waren von beiden Seiten aus zugänglich, und die Fächer waren verschieden hoch, damit jedes der zu dieser Zeit gängigen Formate Platz fand. Oben an den Regalen waren zwei schräge Buchablagen angebracht, sodass es möglich war, einen Text zu studieren und ihn dann sofort an seinen Platz zurückzustellen.
»Mein Gott«, murmelte ich. Dee hielt das für einen Fluch und sah mich entsetzt an.
»Meine Gemahlin ist überwältigt, Master Dee«, erklärte ihm Matthew. »Sie war noch nie in einer so großen Bibliothek.«
»Es gibt viele Bibliotheken, die weitaus geräumiger sind und über mehr Schätze verfügen als meine, Mistress Roydon.«
Jane Dee erschien wie auf ihr Stichwort und nutzte die Gelegenheit, um das Gespräch wieder auf die Geldnöte des Haushalts zu lenken.
»Die Bibliothek von Kaiser Rudolf ist viel eleganter«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher