Wo die Nacht beginnt
Jane, während sie mit einem Tablett voll Wein und Zuckerwerk an uns vorbeiwackelte. »Trotzdem war er sich nicht zu blöde, eines von Johns besten Büchern zu stehlen. Der Kaiser hat die Großzügigkeit meines Mannes schamlos ausgenutzt, und wir haben wenig Hoffnung, dass wir je für den Verlust entschädigt werden.«
»Nun, nun, Jane«, schalt John sie. »Dafür hat uns Seine Majestät ein anderes Buch geschenkt.«
»Was für ein Buch war das?«, fragte Matthew vorsichtig.
»Ein sehr seltener Text«, sagte Dee unglücklich und sah seiner Frau nach, die zum Tisch weiterging.
»Nichts als Kauderwelsch!«, gab Jane zurück.
Das war bestimmt Ashmole 782 . Das musste es sein.
»Master Plat hat uns von genau so einem Buch erzählt. Darum sind wir hier. Vielleicht könnten wir erst die Gastfreundschaft Eurer Gemahlin genießen und danach das Buch des Kaisers sehen?«, schlug Matthew sanft wie ein Kätzchen vor. Er streckte mir seinen Arm hin, und ich hakte mich ein, nicht ohne ihn kurz zu drücken.
Während Jane geschäftig Wein einschenkte und sich lautstark darüber beklagte, wie viel die Nüsse über die Festtage kosteten und wie der Lebensmittelhändler sie praktisch in den Ruin trieb, machte sich Dee auf die Suche nach Ashmole 782 . Er ging die Fächer eines Regals ab und zog schließlich einen Band heraus.
»Das ist es nicht«, murmelte ich Matthew zu. Es war zu klein.
Dee ließ das Buch vor Matthew auf den Tisch fallen und schlug den lappigen Pergamenteinband auf.
»Seht Ihr. Es finden sich nur sinnlose Worte und anzügliche Bildnisse von Frauen beim Baden darin.« Jane schnaubte abfällig und zog murmelnd und kopfschüttelnd von dannen.
Das war nicht Ashmole 782 , trotzdem kannte ich das Werk: Es war das Voynich -Manuskript, auch bekannt als MS 408 aus der Beinecke Library der Yale University. Der Inhalt war und blieb rätselhaft. Kein Codebrecher oder Linguist hatte bisher herausfinden können, wovon der Text handelte, und ebenso wenig hatten die Botaniker entschlüsseln können, welche Pflanzen darin dargestellt waren. Es gab reichlich Theorien, die das Mysterium dieses Manuskripts zu erklären versuchten, darunter eine, laut der es von Aliens geschrieben worden war. Ich seufzte enttäuscht.
»Nein?«, fragte Matthew. Ich schüttelte den Kopf und biss mir frustriert auf die Unterlippe. Dee nahm an, dass ich mich über Jane aufregte, und wollte mich sofort besänftigen.
»Bitte verzeiht meinem Weib. Jane ärgert sich sehr über dieses Buch, denn sie hat es nach unserer Rückkehr in unseren Kisten gefunden. Ich hatte ein anderes Buch mit auf die Reise genommen – einen Schatz der Alchemie, der einst dem großen englischen Magier Roger Bacon gehörte. Es war größer als dieses Buch und voller Mysterien.«
Ich beugte mich unwillkürlich vor.
»Mein Assistent Edward verstand mit göttlichem Beistand den Text, ich allerdings nicht«, fuhr Dee fort. »Ehe wir aus Prag abreisten, äußerte der Kaiser Interesse an diesem Werk. Edward erzählte ihm einiges über die Geheimnisse, die es enthält – über die Erschaffung der Metalle und über eine geheime Methode, Unsterblichkeit zu erlangen.«
Dee hatte Ashmole 782 demzufolge sehr wohl besessen. Und sein dämonischer Gehilfe Edward Kelley hatte den Text lesen können. Ich versteckte meine vor Aufregung zitternden Hände in den Falten meines Rockes.
»Edward half Jane, meine Bücher einzupacken, als wir nach Hause zurückbeordert wurden. Jane glaubt, dass Edward das Buch gestohlen und es durch dieses Werk aus der Sammlung Seiner Majestät ersetzt hat.« Dee zögerte und sah mich besorgt an. »Ich möchte nichts Schlechtes über Edward sagen, der mein Gefährte und Vertrauter war und mit dem ich viel Zeit verbracht habe. Er hat sich nie mit Jane verstanden, darum lehnte ich ihre Theorie anfangs ab.«
»Aber jetzt glaubt Ihr, dass manches dafür spricht«, bemerkte Matthew.
»Immer wieder durchlebe ich im Geist unsere letzten Tage in Prag, Master Roydon, und suche dabei nach einem Detail, das meinen Freund entlasten würde. Aber jede Kleinigkeit, an die ich mich zusätzlich erinnere, ist ein weiterer Fingerzeig, der auf seine Schuld hinweist.« Dee seufzte. »Trotzdem könnte sich irgendwann herausstellen, dass dieser Text hier Geheimnisse enthält, die unserer Kenntnis würdig sind.«
Matthew blätterte in dem Manuskript herum. »Das sind Chimären«, sagte er, während er die abgebildeten Pflanzen betrachtete. »Blätter, Stängel und Blüten passen
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