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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Zimmern hinaufstieg, meinen Tarnzauber ab. Annie war eben auf der anderen Seite des Hofes und holte die saubere Wäsche von den Wäscherinnen. Jack war mit Pierre und Matthew unterwegs. Ich fragte mich, was Françoise zum Essen gezaubert hatte. Ich war am Verhungern.
    »Falls ich nicht in den nächsten fünf Minuten etwas zwischen die Zähne bekomme, fange ich an zu schreien.« Meine noch auf der Schwelle ausgestoßene Drohung wurde untermalt vom Klirren der Nadeln auf den Dielen, die abfielen, sobald ich die steife bestickte Verschalung vorn an meinem Kleid abgezogen hatte. Ich warf das sogenannte Vordermieder auf den Tisch. Meine Finger streckten sich nach den Bändern, die darunter das eigentliche Mieder zusammenhielten.
    Vom Kamin her hörte ich ein dezentes Räuspern.
    Die Finger auf den Stoff gepresst, der meine Brüste bedeckte, wirbelte ich herum.
    »Schreien wird Euch nicht helfen, fürchte ich.« Aus den Tiefen des Sessels, der direkt vor dem Kamin stand, stieg eine Stimme, die wie auf Glas scheuernder Sand klang. »Eure Dienerin habe ich Wein holen geschickt, und meine alten Glieder sind nicht mehr so schnell, als dass ich Euren Wunsch erfüllen könnte.«
    Langsam ging ich um den Sessel herum. Der unbekannte Gast hob eine graue Braue, und sein Blick huschte kurz über meinen nur notdürftig bedeckten Leib. Ich bestrafte ihn für seine Frechheit mit einem finsteren Blick.
    »Wer seid Ihr?« Der Mann war weder Dämon noch Hexenmeister oder Vampir, sondern schlicht und einfach ein runzliger alter Mensch.
    »Ich glaube, Euer Gemahl und seine Freunde nennen mich den alten Fuchs. Ich bin außerdem, um für meine vielen Sünden zu büßen, der Schatzkanzler Ihrer Majestät.« Der gerissenste Mann in ganz England, und mit Sicherheit einer der skrupellosesten, wartete ab, bis seine Worte ihre ganze Wirkung entfaltet hatten. Seine freundliche Miene tat seinem scharfen Blick keinen Abbruch.
    In meinem Salon saß William Cecil . Zu verblüfft, um in den eigentlich angebrachten tiefen Knicks zu sinken, starrte ich ihn mit offenem Mund an.
    »Also ist Euch mein Spitzname bekannt. Es überrascht mich, dass mein Ruf so weit reicht, denn mir und vielen anderen ist bewusst, dass Ihr hier fremd seid.« Ich wollte ihm antworten, doch Cecil hob abwehrend die Hand. »Es empfiehlt sich, Madam, mir nicht allzu viel anzuvertrauen.«
    »Was kann ich für Euch tun, Sir William?« Ich fühlte mich wie ein Schulmädchen, das zum Direktor geschickt wurde.
    »Selbst wenn mein Ruf mir vorauseilt, so tut es mein Titel offenbar nicht. Vanitatis vanitatum, omnis vanitas«, kommentierte Cecil spröde. »Ich wurde mittlerweile zum Lord Burghley ernannt, Mistress Roydon. Die Königin ist eine großzügige Herrscherin.«
    Ich fluchte still in mich hinein. Ich hatte mich nie besonders dafür interessiert, wann ein Adliger einen neuen Rang und Titel verliehen bekommen hatte. Falls ich so etwas wissen musste, hatte ich es jederzeit im biographischen Lexikon nachschlagen können. Jetzt hatte ich Matthews Chef beleidigt. Ich würde ihn zu beschwichtigen versuchen, indem ich ihm auf Latein schmeichelte.
    » Honor virtutis praemium«, murmelte ich, immer noch leicht konfus. Ehre ist der Lohn der Tugend. Einer meiner Nachbarn in Oxford hatte an der Arnold School abgeschlossen. Er spielte Rugby und feierte die Siege des New College, indem er, zum großen Vergnügen seiner Teamkameraden, auf dem Rasen aus vollem Hals diesen Leitspruch brüllte.
    »Ah ja, das Motto der Shirleys. Seid Ihr ein Teil jener Familie?« Lord Burghley legte die Fingerspitzen gegeneinander und sah mich deutlich interessierter an. »Deren Angehörige sind für ihre Wanderlust berühmt.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich bin eine Bishop … Aber natürlich keine richtige Bischöfin.« Lord Burghley neigte angesichts dieser überflüssigen Erklärung stumm den Kopf. Ich spürte das absurde Bedürfnis, mich diesem Mann anzuvertrauen – oder aber Hals über Kopf vor ihm zu flüchten.
    »Ihre Majestät duldet zwar, dass ihre Kirchenmänner heiraten, aber weibliche Bischöfe kann sie sich, dem Himmel sei Dank, beim besten Willen nicht vorstellen.«
    »Ja. Nein. Kann ich irgendetwas für Euch tun, Mylord?«, wiederholte ich, und ein beklagenswert verzweifelter Unterton schlich sich dabei in meine Stimme. Ich biss die Zähne zusammen.
    »Ich glaube nicht, Mistress Roydon. Aber möglicherweise kann ich etwas für Euch tun. Ich rate Euch, nach Woodstock zurückzukehren.

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